Wahrscheinlich die beste Biografie, die ich bislang gelesen habe, abgesehen von Hunter Davies‘ Beatles-Biografie, natürlich. Sie liest sich wirklich wie ein Roman, was einerseits am aufregenden Leben der Dietrich liegt, andererseits aber auch an dem hervorragenden Stil ihrer Tochter Maria („Kater“). Sie drängt sich nie in den Vordergrund, kann aber sehr interessante und private Einblicke aus erster Hand liefern, ohne reißerisch zu wirken: Die Geschichte von Marlenes Entwicklung vom Teenager Marie Magdalena, der für Henny Porten schwärmte, zur Varietekünstlerin der Goldenen Zwanziger und ersten Filmrollen bis zur Entdeckung durch Joseph von Sternberg, der aus der etwas plumpen, ungenierten Berliner Göre die rätselhafte Hollywood-Ikone Marlene Dietrich schuf, wirkt fast wie ein Märchen, man fiebert bei ihren Liebschaften genauso mit wie bei ihrer späteren, zweiten Karriere abseits von der Leinwand als gefeierte Sängerin. Das Leben in den Studios von Hollywood während der dreißiger Jahre wird lebendig und man ist als Leser hautnah bei Dreharbeiten zu allen mehr oder weniger bekannten Dietrich-Filmen aus dieser Zeit dabei.

Quelle: booklooker.de
Abgegriffenes Taschenbuch, die Seiten mit den Fotos lösten sich schon…
Vor allem zeigt Maria Riva dem Leser aber auch die negativen Seiten, die das Leben mit einer Filmdiva als Mutter mit sich bringt. Beispielsweise war sich Maria in ihrer Kindheit nicht genau über ihr Alter im Klaren, weil Marlene sie für die Öffentlichkeit jünger machte, um sie als ihr süßes, kleines Kind zu präsentieren. Auch musste sie sich an ständig wechselnde Liebhaber gewöhnen und wie diese früher oder später wieder abserviert wurden, sodass diese „Ersatzväter“ auch aus Marias Leben wieder verschwanden. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir Brian Aherne, ein Schauspieler aus den 30ern, den die Dietrich bei Dreharbeiten zu „Song Of Songs“ kennenlernte und der ihr herzzerreißende Liebesbriefe schrieb. Marias richtiger Vater, Rudi Sieber, hatte dagegen eine Langzeit-Geliebte, die regelmäßig zu Abtreibungen gezwungen wurde (Marlene hatte alles im Griff), worüber sie in schwere Depressionen verfiel. Und dann die entlarvten Märchen, von wegen Marlene wäre in höchster Gefahr an der Front gewesen (tatsächlich hat sie „nur“ für die Soldaten gesungen und suchte in gewisser Weise Jean Gabin, ihrer großen Liebe, nahe zu sein). Oder die Befreiung ihrer Schwester aus Bergen-Belsen, die sie gern verbreitete – dass Elisabeth nicht im KZ war, sondern in der Stadt Bergen lebte, wurde dabei verschwiegen. So reihen sich Anekdoten an Anekdoten, gute Erinnerungen an schlechte und man bekommt das Gefühl, als wäre sie eine gute alte Bekannte, die keine Göttin, sondern nur ein Mensch mit Schwächen und Fehlern war, wie wir alle. Mütterlich umsorgend, aber auch despotisch und grausam, wenn sie wollte.
Die Faszination wird dadurch nicht geringer. Marlene bleibt eine Ikone, ich liebe ihre Fotografien in Schwarz-und-Weiß, auf denen sie den Betrachter mit diesem betörenden, kühlen Blick anschaut, als wüsste sie alle Geheimnisse der Welt und würde keines je preisgeben. Diese Präsenz überstrahlt auch ihre Filme, von denen ich wenige gesehen habe, die meisten sind wahrscheinlich zu Recht vergessen, abgesehen von ein paar Klassikern wie „Blauer Engel“, „Marokko“ oder „Zeugin der Anklage“ (im Buch wird detailliert die Periode Ende der 30er beschrieben, als die Schauspielerin als Kassengift verschrien war). Oh, und ihre Lieder sind äußerst hörenswert, nicht nur die bekannten aus dem „Blauen Engel“, sondern auch andere freche 20er-Couplets wie „Wenn die beste Freundin“ und „Wo ist der Mann“ und so tieftraurige Lieder wie „Allein in einer großen Stadt“ und „Wenn ich mir was wünschen dürfte“. Seltsamerweise ist die eine bleibende Erinnerung an die Lektüre der Biografie, dass ich an einem Nachmittag gleichzeitig Radio hörte, während in Rom die Konklave den neuen Papst wählte, der dann Benedikt XVI heißen sollte. Ja, ich weiß, seltsame Verbindung: Marlene Dietrich und der Papst, aber so war es im Frühling 2005. Und dann malte ich einen kleinen Zug nebst Schleiermuster in meinen Geschichtshefter, beides als Reminiszenz an „Shanghai Express“. Ach, damals…