Dieses Buch muss in die Kategorie „Lieblingsbücher“ rein, schließlich habe ich mich mit keinem derart ausgiebig und intensiv beschäftigt wie mit diesem, das zum stolzen Thema meiner Diplomarbeit wurde. George Eliot leidet unter einem ähnlichen Schicksal wie Thomas Hardy: in englischsprachigen Ländern ein Klassiker, findet man in Deutschland in Bibliotheken und Buchläden meist nur „Middlemarch“, ihr bekanntestes Werk. Das hatte ich in Lancaster gelesen, war beeindruckt und wollte gern mehr, aber meine Suche blieb erfolglos, sodass ich mich bei einem Besuch in London zu Silvester 2010 entschloss, „Adam Bede“ zu kaufen – mir gefiel der Name irgendwie. Hatte ich vorhin „ihr Werk“ geschrieben? Oh ja, George Eliot war tatsächlich eine Frau namens Marian Evans, die unter männlichem Pseudonym schrieb, da das Romaneschreiben damals noch immer verpönt war für das schwache Geschlecht und sie auch persönliche Kritik fürchtete. In meiner Arbeit untersuchte ich den im Roman gesprochenen Dialekt Mittelenglands, der sich für Nicht-Muttersprachler sehr seltsam und lustig liest, er ist am Anfang nicht ganz einfach zu verstehen und für mich als Übersetzer stellte sich gleich die Frage, wie man eine solche Abweichung von der Normsprache ins Deutsche bringt. Darum verglich ich dann drei verschiedene deutsche Übersetzungen von „Adam Bede“ – immerhin, so viele gibt es, von 1860, 1971 und 1987. Mit den zwei Übersetzerinnen der neueren Ausgaben konnte ich mich sogar per E-Mail austauschen. Aber genug davon, es soll hier um den Roman gehen und nicht um die Diplomarbeit.
„Adam Bede“ war Eliots Debütroman. Er spielt um 1800 herum im ländlichen Mittelengland, in dem fiktiven Dorf Hayslope. Adam ist ein Zimmermann wie sein Vater und sein Bruder Seth. Er ist in die schöne Hetty Sorel verliebt, die bei ihren Verwandten, der Gutsbesitzerfamilie Poyser wohnt, und arbeitet hart, um eines Tages eine eigene Werkstatt und damit eine Grundlage für eine Heirat zu haben. Hetty jedoch träumt von einem Leben als reiche Dame und ist darum sehr empfänglich für die Avancen des adligen jungen Herrn Arthur Donnithorne. Naiv und blauäugig beginnt sie eine Affäre mit ihm, die erst durch Adam beendet wird, als er dahinter kommt und Arthur ins Gewissen redet – er weiß nicht, wie weit das Paar tatsächlich gegangen ist und ist glücklich, endlich in der Lage zu sein, Hetty einen Heiratsantrag zu machen. Diese ist zu dem Zeitpunkt zwar bereits schwanger, kann ihren Zustand aber lange verbergen, bis sie eine Gelegenheit nutzt und von zu Hause wegläuft, um Zuflucht bei Arthur zu nehmen, der mittlerweile nahe Windsor beim Militär stationiert ist. Ihre lange und herzzerreißende Irrfahrt findet kein glückliches Ende, Arthurs Einheit wurde nach Irland versetzt und Hetty bringt in einer Unterkunft ihr Kind zur Welt. Verwirrt und verzweifelt sieht sie keinen anderen Ausweg, als das Baby auszusetzen, woraufhin es stirbt… Die Mutter wird zum Tode verurteilt und erst Arthurs Eingreifen wandelt die Strafe im letzten Moment in eine Deportation nach Australien um. Adam findet derweil Trost bei der Methodistin Dinah Morris (die Methodisten sind eine Konfessionsgruppe, die sich von der Anglikanischen Kirche abspaltete und vor allem die barmherzigen Werke der Nächstenliebe, das Bibelstudium und die Laienpredigt in den Mittelpunkt stellten). Für die Einwohner von Hayslope ist es zunächst sehr gewöhnungsbedürftig, eine junge Frau auf freiem Feld predigen zu sehen, aber ihre Worte haben eine große Kraft. Sie nimmt später auch Hetty die Beichte ab und betet mit ihr im Gefängnis und auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte. Adams Bruder Seth, ebenfalls ein Methodist, ist zuerst in Dinah verliebt, doch fühlt sie sich mehr zu Adam hingezogen und so finden sie nach langem Zweifeln schließlich zueinander, was mit Dinahs Aufgabe ihrer eigentlichen Berufung, dem Predigen, einhergeht.

Quelle: paxvictoriana.tumblr.com
Dinah Morris bei ihrer ersten öffentlichen Predigt auf dem Anger in Hayslope
Es gibt noch viele andere Charaktere im Buch, zu den bemerkenswertesten gehören Adams Mutter, Lisbeth Bede, sowie Mrs Poyser, die Tante von Dinah und Hetty. Beide zeichnen sich durch ihre Sprache aus: Der Dialekt ist bei Lisbeth besonders stark ausgeprägt, während Mrs Poyser nie um eine Spruchweisheit oder eine schlagfertige Antwort verlegen ist, was sie nach dem Erscheinen des Buches zu einer bekannten und beliebten Figur machte. Hier ein Auszug aus einem Kapitel, in dem der Squire, der lokale Landbesitzer, den Pachthof der Poysers besucht, um niedrigere Preise für die erzeugten Milchprodukte zu verhandeln und er einige harte Worte einstecken muss:
„Then, sir, if I may speak—as, for all I’m a woman, and there’s folks as thinks a woman’s fool enough to stan‘ by an‘ look on while the men sign her soul away, I’ve a right to speak, for I make one quarter o‘ the rent, and save another quarter—I say, if Mr. Thurle’s so ready to take farms under you, it’s a pity but what he should take this, and see if he likes to live in a house wi‘ all the plagues o‘ Egypt in’t—wi‘ the cellar full o‘ water, and frogs and toads hoppin‘ up the steps by dozens—and the floors rotten, and the rats and mice gnawing every bit o‘ cheese, and runnin‘ over our heads as we lie i‘ bed till we expect ‚em to eat us up alive—as it’s a mercy they hanna eat the children long ago. I should like to see if there’s another tenant besides Poyser as ‚ud put up wi‘ never having a bit o‘ repairs done till a place tumbles down—and not then, on’y wi‘ begging and praying and having to pay half—and being strung up wi‘ the rent as it’s much if he gets enough out o‘ the land to pay, for all he’s put his own money into the ground beforehand. See if you’ll get a stranger to lead such a life here as that: a maggot must be born i‘ the rotten cheese to like it, I reckon. You may run away from my words, sir,“ continued Mrs. Poyser, following the old squire beyond the door—for after the first moments of stunned surprise he had got up, and, waving his hand towards her with a smile, had walked out towards his pony. „You may run away from my words, sir, and you may go spinnin‘ underhand ways o‘ doing us a mischief, for you’ve got Old Harry to your friend, though nobody else is, but I tell you for once as we’re not dumb creatures to be abused and made money on by them as ha‘ got the lash i‘ their hands, for want o‘ knowing how t‘ undo the tackle. An‘ if I’m th‘ only one as speaks my mind, there’s plenty o‘ the same way o‘ thinking i‘ this parish and the next to ‚t, for your name’s no better than a brimstone match in everybody’s nose…“
“Old Harry” ist übrigens ein anderer Name für den Teufel. Der Auszug gibt einen guten Eindruck von dem Dialekt, der mein Interesse so starkte weckte. Man kann ihn höchstens durch Umgangssprache wiedergeben, aber er weckt dabei nicht die gleichen Assoziationen, die ein englischer Leser bei der Lektüre haben mag. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass man Bücher möglichst im Original lesen sollte, die Übersetzung bringt einen wohl oder übel um zu vieles. Zwar wird man heute nicht wie im 19. Jahrhundert Namen eindeutschen und aus Kate ein „Käthchen“, aus Meg ein „Gretchen“ oder aus „Billy Taft the idiot“ den „blödsinnigen Christopher“ machen. Aber Dialekt bleibt unübersetzbar und wer sich ein bisschen für die englische Sprache interessiert, sollte „Adam Bede“ auf Englisch lesen. Ein trauriger Roman, man sieht das Unglück kommen und kann doch nichts tun, um Hetty oder Adam davor zu bewahren: „The Bitter Waters Spread“, „die bitteren Wasser breiten sich aus“, wie ein Kapitel treffend heißt. Und ich mache sehr gern ein wenig Werbung für George Eliot, deren Bekanntheitsgrad auf jeden Fall noch ausbaufähig ist. Vielleicht kann ich irgendwann dazu beitragen, denn ein Werk von ihr ist noch immer nicht ins Deutsche übersetzt…