Der Bericht einer Holocaust-Überlebenden, die die Zeit damals als Kind erlebte. Der Titel nimmt Bezug auf eine Szene in „Schindlers Liste“, einen Film, den ich zu meiner Schande noch nicht gesehen habe. Dort soll wie als Farbtupfer in all dem Schwarz-Weiß ein kleines Mädchen im roten Mantel herumlaufen, und Roma Ligocka erkannte sich darin wieder, nachdem sie die Ereignisse lange verdrängt hatte. Ihr Mantel brachte ihr damals den Spitznamen „kleine Erdbeere“ ein. Sie überlebte mit ihrer Mutter, weil sie wenige Tage vor der Evakuierung des Krakauer Ghettos fliehen konnten und sich bei einer polnischen Familie versteckten. Es ist wirklich bewegend, diese Geschichte zu lesen, wie sie ein kleines Mädchen erlebte, das dies alles noch nicht wirklich verstand und für das das Schreckliche zum normalen Alltag gehörte.
Mit dem Ende des Kriegs hört das Buch aber nicht auf, Roma Ligocka berichtet auch davon, wie sie im Nachkriegs-Polen lebte und wie sie damals einen Cousin kennenlernte, der später weltberühmt werden sollte: der Regisseur Roman Polański, dessen Mutter in Auschwitz ermordet wurde. Roma war ebenfalls künstlerisch tätig, arbeitete als Malerin, Bühnenbildnerin und Autorin und ging in den 60er Jahren nach Deutschland.
Es kann kritisiert werden, wie sich ein damals 2 bis 7 Jahre altes Kind an alle Geschehnisse während der Nazi-Zeit so detailliert erinnern soll, wie viel „Dichtung und Wahrheit“ im Buch stecken. Tatsächlich kannte Steven Spielberg Ligocka nicht und seine Darstellung des kleinen Mädchens war rein zufällig, nur löste es bei ihr eine Welle von Erinnerungen aus – auch wenn das aus dem Klappentext vielleicht nicht so genau hervorgeht. Trotzdem ist es ein wertvoller Zeitzeugenbericht, selbst wenn nicht jede Einzelheit genau so geschehen sein mag, aber die Atmosphäre der Angst und die Alltäglichkeit, mit der die schlimmsten Verbrechen geschahen, wird sehr gut wiedergegeben. Jedes Buch zu diesem Thema ist wichtig, und über die Situation im stalinistischen Polen, wo ganz sicher nicht viel getan wurde, um die Wunden zu schließen (Ligocka erkrankte in Folge der Kindheitserlebnisse an Depressionen) ist in Deutschland nicht allzu viel bekannt, deshalb ist „Das Mädchen im roten Mantel“ wirklich empfehlenswert.