Der Tag, an dem ich den Glauben an meine Provinzbücherei verlor, war spätestens gekommen, als ein Besucher in meiner Hörweite nach Collins‘ „Frau in Weiß“ fragte und die Bibliothekarin offensichtlich weder den Titel noch den Namen des Autors jemals gehört hatte. Himmel, ist das nicht die Aufgabe einer Bibliotheksangestellten, möglichst soweit belesen zu sein, dass sie wenigstens einen der besten englischen Klassiker kennen sollte, und Wilkie Collins als den Meister des Mystery-Romans und Mitbegründers des Krimi-/Thriller-Genres?! Beinahe hätte ich mich lautstark eräschert. „Die Frau in Weiß“ hatte ich Jahre zuvor gelesen – entliehen aus eben jener Bücherei – , war rundweg begeistert und sehr erfreut, 2011 auch noch den „Monddiamanten“ zu finden – zumindest bis ich entdeckte, dass sie den gleichen Roman im Original da hatten, das wäre mir natürlich noch lieber gewesen als die deutsche Übersetzung (die allerdings in einer sehr eleganten, großformatigen Ausgabe mit schönen Stichen daher kam).

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Das etwas merkwürdige Coverfoto lässt nicht unbedingt auf den hochwertigen Inhalt schließen
Wilkie Collins war ein enger Freund von Charles Dickens und seine Romane, allen voran „The Woman in White“, waren ähnlich erfolgreich wie die seines berühmten Zeitgenossen. Eine neuere deutsche Übersetzung stammt übrigens von Arno Schmidt, aber ich bin mir nicht sicher, ob es die war, die ich las. Worum geht es nun? Der Roman ist ein Flickenteppich aus Briefen, Tagebucheinträgen und ergänzenden Berichten mehrerer Figuren, die alle zusammen diese spannende Geschichte erzählen. Am Anfang berichtet der Maler Walter Hartright, wie ihm eines Nachts eine verwirrt wirkende, ganz in Weiß gekleidete Dame begegnet, die ihn nach einer Adresse in London fragt, und die er dorthin begleitet. Am nächsten Tag macht sich der Maler auf zu einem Anwesen auf dem Land, wo er zwei junge Frauen, die Schwestern Marian und Laura, im Zeichnen unterrichten soll. Es dauert nicht lang, bis er sich in die schöne, engelsgleiche Laura verliebt, doch ist diese bereits mit dem finsteren Sir Percival Glyde verlobt. Derweil taucht überraschend die Frau in Weiß wieder auf, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Laura besitzt und diese vor ihrer anstehenden Hochzeit warnt. Doch ignoriert Laura die Warnung, heiratet trotz aller Zweifel den Baron und zieht in sein Haus. Neben Marian, die sie begleitet, gibt es dort noch zwei andere Besucher, den undurchsichtigen Conte Fosco und seine Frau, eine Verwandte der beiden Schwestern. Fosco hat anscheinend einigen Einfluss auf Sir Percival, der immer häufiger zu Gewaltausbrüchen neigt und seine Frau zur Unterschrift eines bestimmten Dokuments überreden will, deren Inhalt sie nicht kennen soll. Marian versucht, ihre Schwester zu schützen und wendet sich in der Not an Hartright, von dessen Gefühlen für Laura sie unterrichtet ist. Es wird immer offensichtlicher, dass die mysteriöse, weißgekleidete Frau, die sich als Ann Catherick vorstellt und immer wieder wie ein Geist erscheint, von einem Geheimnis weiß, in das Sir Percival verstrickt ist und von dem Laura auf keinen Fall erfahren soll. Marian hört ein Gespräch zwischen Fosco und Percival, in dem Beide Möglichkeiten diskutieren, wie an Lauras Geld zu kommen ist, und sie begreift, dass das Leben ihrer Schwester in höchster Gefahr ist…
Den Fortgang des Romans will ich an dieser Stelle nicht verraten, dafür ist er einfach zu gut und ich möchte, dass er möglichst viel gelesen wird. Conte Fosco ist ein Erzschurke, intelligent, aalglatt und kreuzgefährlich, während Walter Hartright, obwohl fachfremd, einem Detektiv alle Ehre macht, als er am Ende alle Puzzleteile zusammensetzen muss, um seine geliebte Laura zu retten. Marian schließlich ist eine für viktorianische Verhältnisse ziemlich selbstbewusste Frau, die durch Mut und Verstand ausgleicht, was ihr an Schönheit abgeht – kein so argloses Lämmchen wie ihre Schwester Laura. Wilkie Collins gehört zu den Autoren, von denen es noch einiges zu entdecken gibt, worauf ich mich schon jetzt freue. Zur Verbreitung der Bekanntheit seines Werks habe ich übrigens schon beigetragen, indem ich eine sehr hübsch gestaltete Ausgabe (aus der wunderbaren, in Leinen gebundenen Reihe der Penguin Classics ) an eine Freundin verschenkte und als Widmung hineinschrieb: „To X from A. who devoured this book with pleasure“. What more could I say?