Um den guten Poe kommt man nicht herum. Früher oder später muss man seine Geschichten lesen, vielleicht nicht allzu früh, denn sie sind teilweise schon recht beängstigend, aber auch viel zu gut, um sie links liegen zu lassen. Und weil ich eine gewisse Vorliebe für klassische Kriminalerzählungen und Schauergeschichten habe, entdeckte ich mit diesem Buch den Autor, der mich seitdem nicht mehr losgelassen hat. Irgendwann wird noch mal die Gesamtausgabe in einem Band fällig, obwohl ich glaube, dass mir sein Oeuvre dank „Poetry and Tales“ aus der Buchreihe „Library of America“ schon gut bekannt ist (seine Gedichte kann man vernachlässigen, mit Ausnahme von „The Raven“, natürlich). Die Liste derer, die von ihm beeinflusst wurden, ist endlos: sei es Arthur Conan Doyle bei seinen Detektivgeschichten, Science-Fiction-Autoren wie Jules Verne oder H. G. Wells (immerhin war Poe der erste, der eine Ballonreise zum Mond beschrieb), die französischen Symbolisten und Impressionisten (allen voran Charles Baudelaire), und ich glaube, von den späteren Verfassern von Horror-Storys hat jeder in seiner Jugend mal bei Poe nachgeschaut, wie man es richtig macht. Und wer glaubt, Poe hätte nur Short Stories geschrieben, sollte mal zu „Arthur Gordon Pym“ greifen, einem Seefahrtsroman, in dem der Protagonist nach einem Schiffbruch in ein mystisches Land weit im Süden gelangt, wo eigentlich die Antarktis liegen sollte.

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In dieser Ausgabe aus dem Kinderbuchverlag Berlin wurden nun einige seiner bekanntesten Geschichten zusammengestellt. Neben der spannenden Schatzsuche anhand einer verschlüsselten Karte von Captain Kidd in „Der Goldkäfer“ finden sich darin auch „Im Malström“, „Der Untergang des Hauses Usher“, „Hüpffrosch“, „Die Maske des Roten Todes“, „Grube und Pendel“, „Du bist der Mann“ sowie die beiden Detektivgeschichten „Der entwendete Brief“ und „Der Doppelmord in der Rue Morgue“. Warum das Buch im Kinderbuchverlag erschien, ist mir rätselhaft, aber vielleicht deckte dieser auch Jugendliteratur ab – für Kinder sind die Geschichten jedenfalls nicht geeignet. Nehme man zum Beispiel „Hüpffrosch“: Da wird der kleinwüchsige Hofnarr samt seiner Schwester vom Fürsten und seinen Ministern so lange drangsaliert, bis er sich furchtbar rächt: Er bindet sie bei einem wilden Fest alle an die Kette des Kronleuchters und brennt die in Affenkostümen gekleideten Männer an. Oder der Albtraum aller Klaustrophobiker, „Grube und Pendel“. In „Du bist der Mann“ kommt eine Leiche aus der Kiste wie ein Springkasper, um den Mörder zu überführen. „Die Maske des Roten Todes“ spielt zur Zeit der Pest und zeigt, dass man dem Tod auch durch lauteste Fröhlichkeit und hermetische Abriegelung nicht entkommen kann. „Der Untergang des Hauses Usher“ schließlich ist dermaßen düster – die Melancholie und Morbidität scheint geradezu aus den Seiten und ins Zimmer zu kriechen, bis man glaubt, die lebendig begrabene Schwester würde gleich auf der Schwelle stehen und das Haus über einem zusammenfallen. Wer bis dahin nicht das Gruseln gelernt hat, kann es hier nachholen. Und sein Studium dann bei Lovecraft vertiefen.