Ein Monat - ein Buch

April 2003: Wladimir Kaminer – Russendisko

Wladimir Kaminer gehört sicherlich zu meinen Lieblingsautoren. Ich habe eine Reihe seiner Bücher gelesen, was aufgrund seiner hohen Schreibgeschwindigkeit (gefühlsmäßig erscheint mindestens einmal im Jahr ein neues Kaminer-Werk) und der Beschaffenheit der Bücher – kurze, mehr oder weniger lustige Episoden, Eindrücke und Erlebnisse aus seinem Leben – nicht schwer ist, sie lesen sich so weg. Das mag nun gut oder schlecht sein, Kaminer hat jedenfalls viel Erfolg damit und hat sich mit seinen Russendiskoabenden im Berliner Kaffee Burger, bundesweit und überall auf der Welt (als Botschafter der deutschen Kultur, beispielsweise in Brasilien und den USA) quasi als Marke etabliert. Er ist auch ein beliebter Talkgast, weil er einen sehr hohen Unterhaltungswert hat und ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, dass Kaminer live in einer Lesung noch viel besser ist als seine Bücher. Wie der „Playboy“ so treffend zusammenfasst: „Wladimir Kaminer ist schwer beschäftigt: Autor, DJ, Lieblingsrusse der Deutschen, Partymacher und Feuilleton-Favorit.“

Man muss ihn einfach mögen, wenn er eine Anekdote an die nächste reiht, mit stets sicherem Gespür für die Pointe, und natürlich alle Vorurteile gegenüber Russen (und Deutschen) zitiert, nur um sie im nächsten Moment ad absurdum zu führen. Mittlerweile kennt man auch seine Frau Olga, sieht den Kindern Nicole und Sebastian beim Aufwachsen zu – vor allem in „Salve Papa“, aber sie kommen immer mal wieder vor – und Katze Marfa und Kater Fjodor Dostojewski dürfen im Kaminerschen Figurenensemble ebenso wenig fehlen wie sein Vater oder sein (evt. fiktiver) Onkel Wanja.

Quelle: spiesser.de

„Russendisko“ war nicht nur Kaminers erstes Buch und gleichzeitig sein Durchbruch, sondern auch mein erstes Buch von ihm. Somit musste er sich und seinen Werdegang, zunächst in der Sowjetunion und ab 1990 in Berlin, erst einmal vorstellen, und das tut er, wie nachfolgend immer, in kurzen, amüsanten Geschichten. Nicht nur über sich, auch über andere Russen in der Stadt, die nach der Wende langsam wieder zum Leben erwacht, wo aber auch noch genug Anarchie herrscht, die dem Autor und seinen Freunde gern genutzte Freiräume schafft. Mitunter sind die Verhältnisse verwirrend:

„Berlin ist eine geheimnisvolle Stadt. Nichts ist hier so wie es zunächst scheint. Nichts ist hier echt, jeder ist er selbst und gleichzeitig ein anderer. Die Chinesen aus dem Imbiss gegenüber von meinem Haus sind Vietnamesen. Der Inder aus der Rykestraße ist in Wirklichkeit ein überzeugter Tunesier aus Karthago. Und der Chef der afroamerikanischen Kneipe mit lauter Voodoo-Zeug an den Wänden – ein Belgier. Selbst das letzte Bollwerk der Authentizität, die Zigarettenverkäufer aus Vietnam, sind nicht viel mehr als ein durch Fernsehserien und Polizeieinsätze entstandenes Klischee.“

Irgendjemand ist dann auf die Idee gekommen, aus den vielen kleinen Episoden einen Spielfilm zu basteln, mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle. Irre ich mich oder war das kein großer Erfolg? „Russendisko“ ohne Kaminer ist eh Quatsch. Er macht den Charme seiner Geschichten aus, ohne seine unverwechselbare, lakonische Erzählstimme ist der ganze Reiz verflogen.

Zum Schluss verrate ich noch ein kleines Geheimnis: Bei der erwähnten Lesung versäumte ich es natürlich nicht, mir ein Buch von Kaminer signieren zu lassen – allerdings nicht mein eigenes, es stammte aus der Münchner Bibliothek. Die Seite mit dem Autogramm wurde dann fachmännisch von meiner Mutter herausgetrennt. Was der Autor dazu sagen würde, weiß ich nicht, aber er ist ja auch nicht gerade um schlitzohrige Lösungen verlegen.

Quelle: bz-berlin.de

Kaminer mit Fjodor Dostojewski

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