Polnische Autoren sind außerhalb ihres Landes oft nicht allzu bekannt. Mir fallen spontan nur Sienkiewicz und der Nationaldichter Adam Mickiewicz sowie aus dem 20. Jahrhundert Andrzej Szczypiorski (“Die schöne Frau Seidenman”) ein. Der gute alte Vollmann empfahl nun Bolesław Prus und die Bibliothek hatte ihn überraschenderweise da, sodass dieser Entdeckung nichts mehr im Wege stand. Wer hätte gedacht, dass schon Ende des 19. Jahrhunderts ein historischer Roman über das alte Ägypten geschrieben wurde, noch dazu von einem Polen! Und vor allem so gut, mit so vielen Fakten und kulturellen Informationen unterfüttert, dass ich während des Lesens glaubte, es handele sich um eine wahre Geschichte über einen Pharao, der wirklich regiert hätte…

Quelle: lovelybooks.de
Der Pharao im Roman trägt den Namen Ramses XIII und regiert um 1000 v. Chr. Die Handlung setzt ein, als er noch ein Prinz ist, ein erfolgreicher und draufgängerischer Kriegsherr. Wir erleben ein Ägypten, dass von den Libyern bedroht wird, das mit Phöniziern und Semiten Handel betreibt (die Ausländer werden allerdings nicht gern gesehen) und in dem die Priesterkaste nach immer mehr Macht strebt. Diese verfügt über enorme Schätze und, wichtiger noch, über ein großes Wissen die Naturgesetze betreffend, sodass Uneingeweihte oft mit billigen Tricks und optische Täuschungen von der Erhabenheit und Überlegenheit der Priester überzeugt bzw. eingeschüchtert werden können. Insgesamt steht das Land vor großen militärischen und wirtschaftlichen Aufgaben, die der junge Prinz kaum richtig einschätzen kann, weshalb er auf Berater angewiesen ist. Er hat zwar Pläne und Ideen, doch soll er sich nach dem Willen der Minister eher auf seine repräsentativen Funktionen (als Gott gleiches Wesen) besinnen als auf das tatsächliche Regieren. Seine Mutter und seine Geliebten bzw. Ehefrauen (Sarah, ein jüdisches Mädchen und Kara, eine phönikische Priesterin – daran wird die Multikulturalität im alten Ägypten sichtbar) werden ebenso zu Spielbällen dieses Rangelns um die Herrschaft wie am Ende der Pharao selbst. Sein Fehler ist, dass er die Priester unterschätzt und die sich eine im Voraus berechnete Sonnenfinsternis zu Nutzen machen, um das Volk auf ihre Seite zu bringen. Der Putsch gegen die Priester misslingt, der Pharao wird gestürzt und Ramses‘ Gegenspieler Herhor, ein Hohepriester, kommt auf den Thron und setzt alle sozialen Reformen um, die sein Vorgänger bereits geplant, jedoch nicht verwirklichen konnte, weil er von eben jenem Herhor daran gehindert wurde. Mich machte dieses Ende sehr traurig und erinnerte ein wenig an das Schicksal des dänischen Reformers Struensee: jemand, der viel will und an der Zeit und den Umständen scheitert.
„Der Pharao“ ist aber nicht nur ein spannender historischer Roman, sondern kann auch als Parabel auf Polen gelesen werden, als es Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend zerfiel und unter die umliegenden Mächte (Preußen, Österreich, Russland) aufgeteilt wurde; von der einst stolzen Polnisch-Litauischen Union, die von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte, war nichts mehr übrig geblieben. In seiner Jugend hatte sich Prus an einem Aufstand gegen die russische Besatzungsmacht beteiligt und wurde gefangen genommen. Für den Autor waren innere Kämpfe und ungenügende Modernisierung Schuld an dem Niedergang (das Zitat ist leider auf Englisch):
Egypt developed as long as a homogeneous nation, energetic kings and wise priests worked together for the common good. But there came a time when the populace declined in number in the aftermath of wars and lost their vitality under oppression and extortion, while the influx of foreigners undermined their racial unity. When, in addition, the energy of the pharaohs and the wisdom of the priests were dissipated in a flood of Asian profligacy and these two forces began between them a struggle over the monopoly of fleecing the people, Egypt fell under the power of foreigners, and the light of civilization that had burned for several thousand years at the Nile expired.
Auffällig ist, wie genau Prus alle sozialen Schichten und deren Lebensumstände beschreibt, sodass ein umfangreiches Bild des altägyptischen Alltagslebens entsteht, vom einfachen Fellachen bis hin zum Pharao. Man kann wirklich kaum glauben, dass dies ein Roman ist, so minuziös sind die Details, und für ein Buch des 19. Jahrhunderts ist dies geradezu erstaunlich. Ich muss Prus für seine Arbeit großen Respekt zollen, auch weil das Ergebnis nie wissenschaftlich verstaubt wirkt, sondern eine spannende, unterhaltsame und dabei sehr geistreiche Lektüre ist. „Der Pharao“ gehörte übrigens zu Stalins Lieblingsbüchern… Was faszinierte ihn daran, sah er sich als Reformer im Sinne von Ramses XIII, konnte er sich mit den Machtkämpfen und lebensgefährlichen Intrigen identifizieren? Es wäre sicher interessant, den Roman auch unter diesem Aspekt zu lesen.