Natürlich ist die Buchauswahl für den Januar 2002 auch eine Notlösung, keines eignet sich so recht, keines ist ein Roman. Allerdings können Lieder ja mitunter auch fast wie ein Roman in Kurzfassung sein, wenn sie eine Geschichte erzählen. Und dieses Liederbuch hatte ich damals wirklich gern, es machte mich mit allen Gassenhauern, Bänkelliedern und Moritaten bekannt, von denen man vielleicht die erste Strophe schon mal gehört hat, den Rest aber nicht. Einige sang ich so gern, dass ich mich bemühte, die Texte auswendig zu lernen, bevor ich das Buch zurückbringen musste. Seit dieser Zeit kann ich aus voller Brust „Und der Haifisch, der hat Zähne“ anstimmen (obwohl nichts über die schnarrende Interpretation von Brecht selbst geht). Ich kenne die schaurige Mordtat, von der in „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ berichtet wird: „Sie rief, du böser Schuster, du rabenschwarzer Hund/da nahm er ein Rasiermesser und schnitt ihr ab den Schlund“ – der gemeine Kerl aus Treuenbrietzen! Weitere Funde in dieser Schatztruhe waren unter anderem „Bolle reiste einst zu Pfingsten“ und „Der Cowboy Jim aus Texas“. Diese Titel fallen sicher eher in die Kategorie „Freche Lieder“, die „lieben Lieder“ sind dann klassische und bekannte Kinder- und Volkslieder, aber auch internationale Songs wie „Blowin‘ In The Wind“, „We Shall Overcome“ oder „This Land Is Your Land“. Die witzigen Illustrationen von Rotraut Susanne Berner zeichnen das Buch zusätzlich aus und machen es zu einem idealen Begleiter durch die ganze Kindheit – aber auch Erwachsene werden gern durchblättern und zum Singen verführt werden. Schließlich war ich damals auch schon 13 und hatte trotzdem noch viel Freude damit. Falls man manche Lieder nicht kennen sollte und keine Noten lesen kann, gibt es ergänzende CDs mit den Titeln, aufgenommen vom Liedermacher und Herausgeber des Buchs Jürgen Schöntges persönlich.

Quelle: Beltz Verlag
Wenn man dann aus den Kinderschuhen herausgewachsen ist und sich eher für Pop oder Rock interessiert, gibt es bekanntermaßen „Das Ding – Kultliederbuch“, diese unvergleichlichen Spiralbände mit Gitarrenakkorden und jeder Menge Songs von Rock ’n‘ Roll über Schlager bis zur Ballade, alles was man so im Radio hört und gerne mitsingen möchte, wenn man nur den Text hätte… Da habe ich Stunden investiert, um die wichtigsten Lieder abzuschreiben (der Text von „Like A Rolling Stone“ war mir damals ein Rätsel), denn sie sind ganz schön teuer, ich konnte sie mir immer nur ausleihen. Ach welch Freude ist doch das Singen! Ich glaube, solange wir noch die Fähigkeit haben, eine Melodie anzustimmen – allein, oder noch besser, zusammen mit anderen – und dieses kleine Glück zu genießen, ist die Welt nicht ganz verloren.