Christine Nöstlinger gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautoren, mit Titeln wie „Konrad, das Kind aus der Konservenbüchse“, „Gretchen Sackmeier“ oder den Geschichten vom Franz. In „Maikäfer flieg!“ und dem einige Jahre später erschienenen „Zwei Wochen im Mai“ erzählt die 1936 geborene Österreicherin von ihrer Kindheit und Jugend während und nach dem 2. Weltkrieg. Sie tut das auf eine sehr anschauliche und komische Weise, sodass ich die zwei Bücher (in einem Band) mit großem Vergnügen las und mich jetzt noch an einige Szenen erinnern kann.
„Maikäfer flieg! Mein Vater, das Kriegsende, Cohn und ich“ spielt im Frühling und Sommer 1945, als die neunjährige Christine, die kaum etwas anderes als das Leben in der Kriegszeit kennt, erst langsam lernen muss, was Frieden bedeutet.
„Vom Frieden wusste ich als Kind genauso wenig, wie die Kinder heute vom Krieg wissen: ein paar verjährte Bilder und ein verwirrtes Staunen, dass es ihn anderswo gibt.“
„Es war schon lange Krieg. Ich konnte mich überhaupt nicht daran erinnern, dass einmal kein Krieg gewesen war. Ich war den Krieg gewohnt und die Bomben auch. Die Bomben kamen oft. Einmal habe ich die Bomben gesehen…“
Das Haus, in dem die Familie wohnt („Christel“, ihre Schwester und ihre Mutter) wurde bei einem solchen Bombenangriff zerstört, sodass das Angebot einer reichen Dame, in ihre Villa am Wiener Stadtrand zu ziehen, wie gerufen kommt. Der Vater flieht mit einem gestohlenen Urlaubsschein aus dem Lazarett und muss sich deshalb versteckt halten. Die schwierige Beschaffung von Lebensmitteln und die allgemein unsichere Lage in einer zerstörten Stadt bestimmen von da an den Alltag der Familie, auch wenn Christine die neue Umgebung und die Bekanntschaft mit anderen Kindern genießt. Als die Sowjetarmee in die Stadt kommt, macht sie die große Villa kurzerhand zu ihrem Hauptquartier. Christels Vater kommt ihnen sehr zustatten, denn er ist Uhrmacher, und die Rotarmisten haben sehr viele Uhren mitgehen lassen, die er ihnen reparieren kann. Das Mädchen schließt derweil Freundschaft mit dem Armeekoch Cohn, der überaus nett zu den Kindern ist und ihnen von seiner Heimat Leningrad erzählt. Mit seinem gebrochenen Deutsch und seiner lustigen Art (er kann z. B. gar nicht kochen, aber aufgrund seiner schlechten Augen taugt er nicht als Soldat) sorgt er für viele komische Situationen, die einen den Schrecken der frühen Nachkriegszeit vergessen lassen. So entsteht eine völkerübergreifende Freundschaft und ein Stückchen Glück für Christel in diesen sonst sehr gefahrvollen und unruhigen Tagen. Am Ende des Buchs ziehen die Russen ab und die Familie bekommt eine Wohnung zugeteilt, die aufregende Zeit in der Villa ist also vorbei und ein neuer Lebensabschnitt beginnt für Christel. „Schau dir noch einmal alles gut an“, fordert die Mutter sie bei der Abfahrt auf, aber das Mädchen schließt die Augen, als wöllte sie das Geschehene auf ihre eigene Art in Erinnerung behalten.

Quelle: stadtbibliothek.graz.at
In ihrem zweiten Erinnerungsbuch, „Zwei Wochen im Mai: Mein Vater, der Rudi, der Hansi und ich“, verrät der Titel bereits, dass dieses Mal einige Herren die Hauptrolle neben der Protagonistin Christel spielen. Sie ist jetzt zwölf, aber die Narben des Kriegs sind noch überall spür- und sichtbar und nicht nur sie muss sich erst langsam in der neuen „Normalität“, ohne Krieg, aber dafür mit vielen Mängeln und vor allem einer neuen Ideologie zurechtfinden.
„Den Krieg hatte ich gut gekannt, im Krieg hatte ich mich ausgekannt. Den Frieden mußte ich erst lernen, und ich war keine gute Schülerin im Frieden-Lernen, denn was ich da lernen sollte, hatte so gar nichts mit dem zu tun, was sich mein Kriegs-Kinder -Glaube unter ‚Frieden‘ vorgestellt hatte. Und die Erwachsenen waren keine sehr ehrlichen Lehrer. Weil sie das heute oft auch nicht sind, ist meine alte Geschichte vielleicht immer noch passend.“
Wien ist noch immer eine Trümmerlandschaft und kaum einer hat Geld, um sich all die schicken Dinge zu leisten, die man in amerikanischen Filmen sieht. Der Schwarzmarkt blüht. Christine freundet sich mit der Ribich-Eva an, damit sie ab und zu zum Eis- oder Schnitzelessen eingeladen wird. Viel lieber verbringt sie ihre Zeit aber mit Rudi, einem Halbstarken, der sie leicht auf die schiefe Bahn bringen könnte. Denn sie planen zwar – in Christines Augen nicht im Ernst – eine Schwarzhändlerin umzubringen, um an ihr vieles Geld zu kommen, doch als die alte Frau dann wirklich tot aufgefunden wird, bekommt das Mädchen Angst vor Rudi. In dieser Situation lernt sie Hansi kennen und erlebt zum ersten Mal die Aufregung des Verliebtseins. Umso schlimmer ist es für sie, als ihre große Vertrauensperson, ihr Vater, diese Liebe zerstört…
Beide Bücher sind vermutlich gut als Schullektüre geeignet, um Kindern das Leben in der Nachkriegszeit nahe zu bringen, denn sie sind sehr gut und witzig geschrieben, mit vielen pointierten und unverblümten Beschreibungen, wie es damals war. Vor allem schlagen die immer aktuellen Themen „Liebe“ und „Freundschaft“ eine Brücke in unsere Zeit, denn die Lebensumstände damals scheinen schon sehr weit weg und heute kaum noch vorstellbar. Ich lernte auch etwas über den 2. Weltkrieg in Österreich, so hatte ich vor dem Lesen keine Ahnung, dass Wien von den Russen erobert und besetzt wurde. Nebenbei lernt man etliche dialektale Ausdrücke wie „Ribisel“ oder „Paradeiser“. Ich las die zwei Bücher mit großer Freude und Spannung und sie sind mir nachdrücklich im Gedächtnis geblieben. Man kann sie Lesern jeden Alters absolut empfehlen.