Ein Monat - ein Buch

Juni 2011: Willi Winkler – Bob Dylan. Ein Leben

2011 wurde Robert Allen Zimmerman, besser bekannt als Bob Dylan, 70 Jahre, was ich am und um den 24. Mai herum auch entsprechend feierte, dank Radiobeiträgen und drei oder vier CDs (ich erinnere mich, dass ich an diesem Tag Kopfschmerzen hatte, aber das lag ausdrücklich nicht an seiner Musik/Stimme, wie Dylan-Hasser – meine Mutter z. B. – unterstellen könnten). Dies nahm ich auch als Anlass, mir noch einmal Willi Winklers eher unkonventionelle und ziemlich rotzige Biografie zu Gemüte zu führen, die ich bereits ein paar Jahre zuvor gelesen hatte. Sie enthält die meisten Fakten und Legenden, aber auch viele Querverweise und Fußnoten sowie Liedzitate ohne Quellenangaben, ist also nicht unbedingt etwas für Leute, die mit Leben und Werk des Meisters noch nicht so vertraut sind. Bzw. macht es mindestens doppelt so viel Spaß, wenn man all die Anspielungen oder fiesen Kommentare auch versteht; das gleiche gilt übrigens für den Film „I’m Not There“, in dem Dylan gleich durch sechs verschiedene Charaktere und Schauspieler (u. a. Heath Ledger, Richard Gere und Cate Blanchett, die dem Bob von 1965/66 erschreckend ähnlich sieht) dargestellt wird, um seinen vielen Gesichtern gerecht zu werden – typisch Zwilling eben.

Quelle: info-netz-musik.bplaced.net

„Bob Dylan. Ein Leben“ deckt vor allem Dylans Jugend und die Karriere während der 1960er ab, spätere Jahrzehnte kommen etwas kurz oder werden spottreich herunter gemacht, vor allem die 80er (Fans und Kritikern zufolge zurecht) und seine Zeit als zum Christentum Bekehrter, als der ehemalige Folksänger viele mit seinem missionarischen Gehabe sehr verstörte und/oder nervte. Winkler hat definitiv keine verklärende, vor Verehrung triefende Biografie geschrieben und mancher Fan mag bei einigen Stellen pikiert oder gar beleidigt reagieren, sogar mir ging es zumindest bisweilen so. Auch die ironische Gleichsetzung mit Jesus wird schon am Anfang eifrig bemüht:

Als Erzählung leidet das Leben Jesu unter dem Mangel, dass praktisch nichts überseine Kindheit und Jugend bekannt ist. […] Bob Dylan kam als Robert Allen Zimmerman am 24. Mai 1941 in der nordamerikanischen Stadt Duluth zur Welt. Seine Mutter Bettie fühlte die Wehen nahen und sagte zu ihrem Mann Abraham: „Oh, Mercy!“ Könnte jedenfalls sein. Was man weiß, hilft auch nicht weiter: Haushaltsgeräte verkaufte der Vater, die Mutter war eine Frohnatur, insgesamt ein liberales jüdisches Elternhaus in katholischer Umgebung, aber ohne viel religiöses Brim und Borium – musste er deshalb später den Fundamentalismus nachholen?[…] Könnte doch sein. Was man weiß, ist nichts. Behilft man sich also mit jesusmäßigen Geschichten. Auch begreiflich, dass später immer wieder jemand Dylan an seine provinzielle Herkunft erinnern musste und damit alles zu erklären meinte. Beim großen Vorläufer lautete der Vorwurf nicht weniger kleinlich (Mt 13.54f): „Woher hat dieser Mann seine Weisheit, woher die Kraft, diese Werke zu tun? Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns?“ Gute Frage.

In diesem Ton geht es quasi das ganze Buch über weiter. Andererseits ist diese respektlose Sicht auch erfrischend und gar nicht so unangemessen, schließlich ging Dylan die ganze Lobhudelei und Erhebung seiner Person als „Sprachrohr einer Generation“, „Dichter“ etc. schon immer gehörig auf die Nerven („Yippie! I’m a poet and I know it, hope I don’t blow it“). Eventuelle Lücken werden durch jede Menge Fotos wettgemacht. Das Buch erschien zu seinem 60. Geburtstag, über die neuere Zeit erfährt man also nichts und wie gesagt, wer biografische Details bzw. Objektivität oder eine fundierte musikalische Analyse haben möchte, muss sich woanders umsehen, aber lesenswert ist Winklers Buch allemal. Und die umfangreiche Diskografie im Anhang ist überaus nützlich, schon weil darin auch alle bis dato erschienenen Alben der „Bootleg Series“ vertreten sind (in der zuvor unveröffentlichte Songs und Liveaufnahmen erscheinen, die es vorher nur als illegale „Bootlegs“ gab). Diese Seiten habe ich gleich kopiert und archiviert.

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Quelle: amazon.de

Wer eine ernsthaftere und vor allem umfangreiche Studie der Dylanschen Musik sucht, wird bei Olaf Benzinger und seinem Buch „Bob Dylan. Die Geschichte seiner Musik“ fündig. Er stellt jedes Album Titel für Titel vor, wodurch man gleich noch einen Überblick über sein Leben bekommt. Es macht Lust aufs Anhören der Platten, verschafft auch Kennern manchen Aha-Moment und ist ein unentbehrliches Nachschlagewerk für jeden Fan. Ich war von dem Buch sehr gefesselt und konnte manchen Abend kaum aufhören, dachte immer: „Ach noch eine Seite; noch ein Album“ – er hat ja genug aufgenommen, mittlerweile schon 35.

Selbst gekauft habe ich mir nur ein dünnes Büchlein aus dem Reclam-Verlag, „Bob Dylan von A bis Z“, da werden einige Schlaglichter geworfen, auf B wie Joan Baez oder „Boxen“ über G wie Alber Grossman und M wie „Masters of War“ bis W wie den selbst ernannten Dylanologen A. J. Weberman. Informativ und kurzweilig.

Ein bisschen was Autobiografisches ließ Dylan in seinen „Chronicles Vol. 1“ hören (auf Teil 2 wartete man bislang vergebens), doch auch das ist eher etwas für Kenner, weil er nichts erklärt oder einleitet, nur Erinnerungen und Eindrücke aneinanderreiht, nicht unbedingt chronologisch und ohne allzu viel Privates preiszugeben (wenn er z. B. von „meiner Frau“ spricht, ist das nicht immer die selbe, was er aber nicht erwähnt; von seiner zweiten Ehe erfuhr man eh erst, als sie schon wieder vorbei war). Die Kritiker feierten ihn trotzdem dafür und auf eine Art, die die ständigen Gerüchte von wegen Literaturnobelpreis durchaus rechtfertigen würde (weil er eben nicht nur Poesie/Songtexte, sondern auch Prosa schreiben kann). Außerdem bemühte er sich eifrig, sein Heldenbild zu demontieren, wenn er etwa über die vielen Protestsongs sagt: „Ich wusste nicht, woher sie kamen.“

Quelle: http://www.popspotsnyc.com
Das meine ich mit „soooo niedlich“

Wer sich dem Faszinosum lieber visuell nähern möchte, sollte unbedingt Martin Scorseses Doku „No Direction Home“ anschauen. Ich liebe sie inbrünstig, seit ich sie zum ersten Mal im Sommer 2008 sah, man bekommt einen guten Eindruck von den Ursprüngen und Einflüssen Dylans und die Archivaufnahmen, z. B. vom Newport Folk Festival, sind einfach großartig (Dylan und Baez sangen im Duett wie die Engel – und der kleine Bobby war mit Anfang 20 ja auch soooo niedlich!). Spätestens dann war ich Fan und hörte seine Musik nicht mehr nur, weil es was intellektuell-versnobtes hatte oder meine Mutter nervte. Allerdings: nur die Alben der 60er. An die 70er wage ich mich vielleicht irgendwann noch – „Desire“ fand ich ziemlich gut – , „Oh Mercy“ von 1988 hat einige schöne Songs, aber je älter er wird, desto weniger gefällt selbst mir seine gesangliche Darbietung. Deshalb war ich bislang auch noch in keinem seiner Konzerte, werde es vermutlich nie tun. Wozu, wenn man die Aufnahme vom 31.Oktober 1964 in der Carnegie Hall hören kann – mit einer unvergleichlichen Setlist und einem wunderbaren, stets zu Scherzen aufgelegten Dylan („It’s Halloween – I’m wearing my Bob-Dylan-mask“), der klingt, als hätte er vorher einen durchgezogen. So liebe und verehre ich his holy Bobness.

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