So viel ich weiß, war dies mein erster „Bücherkanon“, noch vor Joachim Scholls „50 Klassikern“ und lange vor Rolf Vollmann. Hier hatte ich zum ersten Mal eine Art Checkliste, wie ich sie seitdem liebe, die ich dann unter den Gesichtspunkten: „Kenne ich“ (stets mit gewisser Genugtuung), „Kenne ich nicht, klingt interessant – notieren“ und „Kenne ich nicht, will ich nicht kennen“ lese. Aber in diesem ersten Fall unterschied ich noch nicht, sondern schrieb einfach alle genannten Titel fein säuberlich per Hand ab, um später gegebenenfalls darauf zurückzugreifen. Wie jetzt zum Beispiel. Dietrich Schwanitz, der mit „Bildung“ die ganze Kanonwelle losgetreten hatte (passend zum Pisa-Schock), schrieb ein Vorwort zum Buch und segnete damit das Projekt sozusagen ab.

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Christiane Zschirnt unterteilt ihre Buchempfehlungen in Kapitel, mehr oder weniger nach Thematik geordnet, wobei das erste: „Werke, die die Welt beschreiben“, etwas merkwürdig klingt, zumal man darin neben der Bibel und Homers „Odyssee“ auch „Ulysses“, „Moby Dick“ und „Don Quixote“ findet. Also vielleicht eher „Bücher, die aufgrund ihrer Länge und Vielfalt in keine Schublade passen“. Es gibt hauptsächlich Klassiker, auch die sogenannten „Schulklassiker“ (Lessing, Schiller, Kleist), aber nicht nur aus dem Bereich der Romane, auch der Philosophie und des Schauspiels und sogar des Comics – so stehen ebenso unter „Wirtschaft“ Marx, Donald Duck und die „Dreigroschenoper“ einträchtig nebeneinander, wie es unter „Psyche“ die Schriften Freuds und „Tristram Shandy“ tun. Shakespeare bekommt sein eigenes Kapitel, durchaus verdient, denn unter seinen vielen Werken nur ein oder zwei herauszugreifen, war der Autorin vielleicht zu wenig (und die Schüler, die das Buch von ihren Eltern geschenkt bekommen, freut es).
Vier Kapitel fanden damals mein besonderes Interesse: Natürlich „Kinder“, obwohl sich unter den zeitlosen Kinderbuchklassikern wie „Pippi Langstrumpf“ und „Alice im Wunderland“ auch ein alter Erziehungsratgeber mischt, nämlich Rousseaus „Émile“ (wie chauvinistisch und albern seine Pädagogik ist, kann in der Wikipedia-Zusammenfassung gelesen werden). Des weiteren „Trivialklassiker“ – „Frankenstein“, „Dracula“, „Sherlock Holmes“, „Vom Winde verweht“ und „Winnetou“; vielen Dank, dass sie nicht als „Schundliteratur“ bezeichnet wurde – und „Kultbücher“: „Werther“, „Fänger im Roggen“, „Unterwegs“, „Steppenwolf“ und „Generation X“, wobei ich bei letzterem nicht so sicher bin, ob es den Titel verdient, da ich es noch immer nicht gelesen habe (obwohl ich es seit 10 Jahren vorhabe). Und schließlich „Sex“, ein wichtiges Thema, wofür eine eigene Kategorie gerechtfertigt ist. Diderots „Indiskrete Kleinode“ (eher harmlos) und Clelands „Fanny Hill“ habe ich dann auch bald näher untersucht. „Lady Chatterley“ sowieso. Boccaccios „Dekameron“ ein paar Jahre später, da braucht man Zeit fürs Lesen, obwohl sich die Geschichten meist ähneln, was bei 100 nicht verwunderlich ist.
Natürlich kann man sich wie bei allen Bücherkanons trefflich streiten, ob man diese Bücher nun wirklich gelesen haben muss, wahrscheinlich kommt ein Großteil der Menschheit auch so ganz gut zurecht. Aber als Inspiration und Anhaltspunkt ist diese Liste nicht zu verachten, denn sie stellt Werke zusammen, die unsere Welt und Kultur beeinflusst, sogar verändert haben, sei es auf politischer Ebene, als Sprachrohr des Feminismus oder einfach, weil sie das Lebensgefühl einer Generation darstellen konnten. Also kein Muss, aber ein willkommenes Kann. Und um über Bücher mitzureden, obwohl man sie nicht gelesen hat.