Lieblingsbücher

Marlen Haushofer – Die Wand

Dieses Buch wurde kürzlich mit Martina Gedeck in der Hauptrolle verfilmt. Der Film war gut, eine Meditation über die Stille und Einsamkeit, über das Überleben und das Wiederfinden eines inneren Einklangs mit der Natur, und die Gedeck war eine hervorragende Wahl, denn sie allein muss den Film ja tragen und aus dem Off mit ihrer Stimme begleiten. Trotzdem wurde ich davon nicht so berührt wie von dem Roman, den ich geradezu atemlos las und später für eine Freundin kaufte, weil ich so beeindruckt war.

Quelle: booklooker.de

Die oben angesprochenen Themen finden sich natürlich auch im Roman. „Die Wand“ ist eine Art Weltuntergangsszenario, aber ganz ohne die typischen Motive. Die Autorin stellt sich die im Zeitalter des Kalten Krieges (vgl. „Talkin‘ World War III Blues“ von Bob Dylan) nicht unübliche Frage: Was wäre, wenn ich die einzige Überlebende einer Katastrophe, z. B. eines Atomkriegs o. ä. wäre und plötzlich ganz auf mich gestellt lernen müsste, nicht nur zu überleben, sondern auch mit der Abwesenheit sämtlicher anderer Menschen zurechtzukommen? Was für manchen vielleicht verlockend klingt, wird mit der Zeit nämlich eine echte Belastung für die Psyche und mentale Gesundheit. Die Protagonistin des Romans, die aus der Ich-Perspektive berichtet – sie schreibt, um nicht verrückt zu werden und sich in den langen Winternächten zu beschäftigen – und deren Name nie genannt wird, kommt unvermittelt in diese Situation: Bei einem Ausflug in die Berge zur Jagdhütte eines befreundeten Paars merkt sie am nächsten Morgen, dass ihre Freunde am vergangenen Abend von einem Spaziergang ins Tal nicht zurückgekehrt sind. Sie macht sich Sorgen und läuft ebenfalls den Weg zum nächsten Dorf hinunter, bis sie plötzlich mitten auf der Straße nicht weiter kann. Eine unsichtbare Sperre, „die Wand“, lässt nichts und niemanden durch. Schlimmer noch, alles Leben auf der anderen Seite scheint wie versteinert; die Frau sieht Menschen, die in der Position verharren, die sie beim Niedergehen der Wand innehatten. Wer und zu welchem Zweck das ganze veranlasst hat, wird nie offenbar und falls es sich um einen Militärschlag handelt, scheint es jedenfalls keine okkupierenden „Sieger“ zu geben. Der erste Impuls der Frau ist, den übrigen Menschen in den Tod zu folgen, um sich nicht dieser großen Herausforderung zu stellen, die auf sie zu kommt. Doch da gibt es ja noch Tiere: der Hund ihrer Freunde, „Luchs“ genannt, zugelaufene Katzen, schließlich sogar die Kuh „Bella“, die sie glücklich findet und die überdies trächtig ist. Das Leben allein im Wald ist kein Zuckerschlecken, sie muss jagen, sich um die Tiere kümmern, Gemüse säen und ernten und im Sommer geht es auf die Alm zur Heumahd. Doch erlebt sie auch viele Glücksmomente, gerade während des Sommers und obwohl sie oft völlig geschafft ist. Luchs wird wie ein Vertrauter für sie. Dieser Frieden, der sich in den besten Augenblicken in ihr ausbreitet, überträgt sich auch auf den Leser. Bis gegen Ende des Buchs urplötzlich etwas in diese Harmonie einbricht, zerstört, tötet …

Quelle: pelmke.de

Martina Gedeck in der gleichnamigen Verfilmung

Die Beschreibung des Inhalts kann die Besonderheit, die dieses Buch ausmacht, kaum wiedergeben. Durch die sehr nüchterne Darstellung des Geschehens wird der Blick nur umso besser auf diese absolute Ausnahmesituation gelenkt, den mühsamen Kampf der Frau gegen die Verzweiflung hin zu einer nicht verklärenden, aber durchaus optimistischen Sicht auf das Leben. So ist der Mensch eben, er richtet sich ein und kommt auch mit den unglaublichsten Dingen irgendwann zurecht und die Natur gibt der Frau zumindest einige Voraussetzungen, um von einem Tag zum nächsten zu kommen. Es findet eine Art Entpersonalisierung statt, sie schneidet ihre Haare kurz und fühlt sich kaum noch als geschlechtliches Wesen (anders als die Tiere, v. a. die Katze läuft immer wieder in den Wald, um einen Kater zu finden). Keiner nennt mehr ihren Namen, sie hört keine andere menschliche Stimme, ist völlig auf sich selbst zurückgeworfen. Somit ähnelt sie einem modernen Robinson, nur ohne Hoffnung, je wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Zwar deutet sie immer wieder die Möglichkeit an, einen Ausweg suchen zu wollen, durch die Täler zu wandern, um vielleicht doch die Wand zu umgehen – doch mit der Kuh im Stall ist das kaum machbar, und wer sagt denn, dass sie es in ihrem kleinen Zufluchtsort, der Jagdhütte, nicht besser und sicherer hat als in einer Umgebung, wo der Mensch des Menschen Wolf ist (wie sich zuletzt andeutet)? Man kann „Die Wand“ als Eskapismusfantasie lesen, als Kritik an unserer modernen, naturfernen und -feindlichen Gesellschaft, auch als feministisches Werk: eine Frau führt ein selbstbestimmtes, in gewissem Grade freies Leben ohne die Hilfe oder auch nur Anwesenheit eines Mannes. Wahrscheinlich wöllte sie, vor die Wahl gestellt, nicht in ihr altes Leben zurückkehren.

Während des langen Rückwegs dachte ich über mein früheres Leben nach und fand es in jeder Hinsicht ungeeignet. Ich hatte wenig erreicht von allem, was ich gewollt hatte, und alles, was ich erreicht hatte, hatte ich nicht mehr gewollt.

Seit ich langsamer geworden bin, ist der Wald um mich erst lebendig geworden. Ich möchte nicht sagen, dass dies die einzige Art zu leben ist, für mich ist sie aber gewiss die angemessene.

Eine einmalige Leseerfahrung, die ich jedem ans Herz legen möchte. Ich habe sie bis heute nicht vergessen und zähle „Die Wand“ zu den besten Büchern, die sich im Laufe der Jahre auf meiner Leseliste angesammelt haben.

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