Nach „Gefährliche Liebschaften“, oder wie der Roman in der Übersetzung von Heinrich Mann heißt, „Schlimme Liebschaften“, hatte ich lange Ausschau gehalten. Meine heimischen Bibliotheken hatten nur den Film mit John Malkovich, Glenn Close und Michelle Pfeiffer, aber da griff wieder meine Politik, keine Literaturverfilmung anzusehen, ohne vorher das Buch gelesen zu haben (mit der einen Ausnahme von „Abbitte“). Also musste ich warten, bis ich in der Münchener Zentralbibliothek angemeldet war, wo sie es selbstverständlich parat hatten. Damals las ich hauptsächlich unterwegs, wenn ich in der U-Bahn oder im Bus fuhr. Für mich ist Lesen ja in der Regel ein fest eingeplanter Teil meines Tagesablaufs, der zwar schon zu meiner Freizeit gehört, in dem ich im eigentlichen Sinne aber nicht „frei“ bin – ich lese, wie andere Sport treiben, manchmal als Pflichtübung, aber glücklicherweise ist es auch oft genug ein Vergnügen.
„Schlimme Liebschaften“ war beides, wie die meisten Klassiker. Die Thematik ist anregend genug („saucy“), um nicht das Interesse zu verlieren, manchmal natürlich etwas trocken und ausufernd, aber nicht so schlimm, wie man das bei einem 250 Jahre alten Buch befürchten könnte – der Franzose Laclos macht dem Ruf seiner Landsleute, was Liebesdinge angeht, alle Ehre. Übrigens war mir die Geschichte doch schon recht vertraut, denn ich hatte zwar nicht die originalgetreue Verfilmung gesehen, aber „Eiskalte Engel“ (nicht der mit Alain Delon), die die Handlung in die Gegenwart transferiert und aus der Marquise Merteuil und dem Vicomte de Valmont Geschwister (die Jugendlichen Kathryn und Sebastian, gespielt von Sarah Michelle Gellar und Ryan Philippe) macht, also noch eine inzestuöse Note reinbringt. Die Wette bleibt die gleiche: der Vicomte soll die engelsgleiche, tugendhafte Präsidentin de Tourvel verführen, dann gewährt ihm seine alte Flamme, die durchtriebene Marquise, eine weitere Liebesnacht. Als kleine Nebenbeschäftigung verdirbt er noch die junge Cécile de Volanges, wiederum eingefädelt von der Marquise als Rache an einem früheren Geliebten, der mit dem Mädchen verlobt ist. Die ganze Intrige wird in Briefwechseln erzählt, meistenteils zwischen den beiden Hauptschurken, gelegentlich auch von anderen Beteiligten wie Cécile oder Madame de Tourvel. Zuerst läuft alles nach Plan, der Vicomte greift zu allen möglichen Tricks, um das Bollwerk der Tourvel zum Einsturz zu bringen und tatsächlich spürt sie bald, dass sie ihm nicht lange widerstehen kann, weshalb sie ihn zu meiden sucht. Gleichzeitig werden die anfänglichen Verbündeten Merteuil und Valmont zu spielerischen Konkurrenten, die versuchen, die Pläne des anderen zu torpedieren. Auch machen dem Vicomte seine Gefühle einen Strich durch die Rechnung: Er verliebt sich nämlich in Madame de Tourvel, selbst wenn er das nicht eingestehen mag. Am Ende wird ihm seine Affäre mit Cécile zum Verhängnis, die noch einen anderen Liebhaber hat, der leider keinen Spaß versteht und den Kontrahenten zum Duell fordert. Doch auch die Marquise kommt nicht ungeschoren davon: Ihre Briefe an den Vicomte werden öffentlich und sie selbst durch eine Pockenerkrankung für immer ihrer Schönheit beraubt. So unmoralisch die Geschichte also daherkommt, am Ende gibt es doch noch eine gerechte Strafen für diese zwei Intriganten, die aus Langeweile mit den Gefühlen anderer spielen und den lieben langen Tag nichts besseres zu tun haben, als zu überlegen, wie sie ihre Mitmenschen zu genauso verdorbenen Wesen machen können, wie sie es selber sind. Die geradezu kriegsmäßig geplanten Strategien des Vicomte eröffnen Abgründe des menschlichen Perfidität. So beschreibt er seiner unseligen Freundin die Eroberung von Madame de Tourvel:
Es ist also nicht, wie in allen meinen andern Abenteuern, bloß eine einfache mehr oder weniger günstige Kapitulation, die man wohl benutzt, aber auf die man nicht gerade stolz ist; es ist vielmehr ein vollständiger, richtiger Sieg, durch einen mühevollen Feldzug erkauft und durch überlegte Manöver entschieden. Es ist also nicht überraschend, daß dieser Erfolg, den ich mir allein zu verdanken habe, mir dadurch um so kostbarer wird; und das Übermaß an Lust, das ich in meinem Triumph empfand, und das ich noch verspüre, ist nur die Süßigkeit bewußten Ruhmes. […]
Ich stürzte mich auf die üblichen Redensarten; worunter sich diese befand: »Sind Sie in Verzweiflung, weil Sie mich glücklich gemacht haben?« Bei diesem Wort wandte sich die anbetungswürdige Frau mir zu, und ihr Gesicht hatte, obschon noch etwas verwirrt, schon wieder seinen himmlischen Ausdruck wiederbekommen. »Ihr Glück,« sagte sie. Meine Antwort erraten Sie. »Sind Sie denn glücklich?« Ich verdoppelte meine Beteuerungen. »Und glücklich durch mich!« – Ich lobte in zärtlichsten Wendungen und während ich sprach, wurden ihre Glieder wieder biegsam; sie sank weich zurück, und ließ mir die Hand, die ich zu nehmen gewagt hatte, und sagte: »Ich fühle, daß dieser Gedanke mich tröstet und erleichtert.«Sie können sich denken, daß, als ich so wieder auf den rechten Weg gebracht war, ich ihn nicht wieder verließ. Und er war wirklich der rechte, und wahrscheinlich der einzige. Als ich nämlich den zweiten Versuch wagte, fand ich erst einigen Widerstand, und was vorher geschehen war, machte mich umsichtig; nachdem ich aber dieselbe Geschichte von meinem Glück wieder vorbrachte, spürte ich bald, die günstigen Wirkungen. »Sie haben Recht,« sagte das zärtliche Geschöpf, »ich kann mein Leben nicht anders mehr ertragen, als wenn es Ihrem Glück dient. Dem weihe ich mich ganz und gar; von diesem Augenblicke an gebe ich mich Ihnen hin, und Sie sollen weder Reue noch Weigerung von mir erfahren.« Mit dieser naiven oder überirdischen Unschuld lieferte sie mir ihre Person und ihre Reize aus und vermehrte sie mein Glück, indem sie es teilte. Der Rausch war auf beiden Seiten und vollständig; und zum erstenmal überlebte der meine das Vergnügen. Ich glitt aus ihrer Umarmung nur, um ihr zu Füßen zu sinken, um ihr ewige Liebe zu schwören; und ich muß alles gestehen: Ich dachte was ich sagte. Ja, selbst nachdem wir uns getrennt hatten, verließ mich der Gedanke an sie nicht, und es kostete mich einige Mühe, mich davon loszubringen.
Die Académie Goncourt, die jedes Jahr den renommierteten französischen Literaturpreis „Prix Goncourt“ vergibt, wählte „Gefährliche Liebschaften“ zum „wesentlichsten Werk“ in dieser Sprache.

Quelle: gutenberg.spiegel.de
Der Vicomte und sein hart erkämpfter Preis
Raffiniert geschrieben und mit überraschenden Entwicklungen sowie manchen pikanten Szenen ausgestattet, hat der Roman über die Jahre nichts von seinem Reiz und seiner Bösartigkeit eingebüßt. Und die Übersetzung von Heinrich Mann las sich sehr gut, sodass mir die Zeit nicht lang wurde, damals in der Münchener U-Bahn.