Im Winter 2008/2009 hatte ich das Glück, eine Reihe hervorragender Bücher zu lesen, sodass die Auswahl für diesen Blog schwerfällt und ich wahrscheinlich wieder ein bisschen schummeln muss. Das erste davon, „Die Bücherdiebin“, wurde im letzten Jahr verfilmt und eigentlich wollte ich sie im Kino sehen, aber einige mittelmäßige Bewertungen hielten mich davon ab: „Und doch wirkt dieses internationale Kinohandwerk, das auf starke Gefühle abzielen will, auf einmal kraftlos und vergeblich und sogar falsch: als hätte sich ein filmischer Zuckerguss über die Erinnerung an die NS-Zeit und den Holocaust gelegt“, schreibt etwa epd Film. Trotzdem werde ich mir den Film demnächst zu Gemüte führen (nicht zuletzt, weil er im benachbarten Görlitz gedreht wurde), nur eben in heimischer Umgebung.

Quelle: pusteblumeasdf.blogspot.co.uk
Zwar ist der Tod nach eigener Aussage kein Sensenmann, auf dem Cover sieht er trotzdem so aus
Den Roman habe ich jedenfalls sehr sehr gern gelesen, obgleich er natürlicherweise viele traurige Szenen enthält, vor allem gegen Ende: Wer da nicht zum Taschentuch greift, muss ein Herz aus Stein haben. Die Geschichte hat einen ungewöhnlichen Erzähler: den guten alten Tod.
Bitte glaubt mir: Ich kann wirklich fröhlich sein. Ich kann angenehm sein. Amüsant. Achtsam. Andächtig. Und das sind nur Eigenschaften mit dem Buchstaben ‚A‘. Nur bitte verlangt nicht von mir, nett zu sein. Nett zu sein ist mir völlig fremd.
Er und Liesel Meminger sind so etwas wie Freunde, vielleicht weil sie sich oft genug getroffen haben, als sie noch ein Kind war. Er kennt und kommentiert ihre Erlebnisse während des 2. Weltkriegs, als sie bei Pflegeeltern in einem kleinen Ort nahe München wohnte, sie wurde mit 9 Jahren von ihrer Mutter dort untergebracht. Auf der Zugfahrt dorthin stirbt ihr kranker Bruder (erste Begegnung mit dem Tod) und auf der Beerdigung tut Liesel zum ersten Mal das, was ihr bald zur Gewohnheit wird und was dem Buch seinen Namen gibt: sie klaut ein Buch. Obwohl sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht lesen kann; das bringt ihr erst ihr Pflegevater Hans bei. Zuerst sträubt sich das Mädchen gegen die neuen Eltern, merkt aber schnell, dass Hans und Rosa gute, liebevolle Menschen sind (auch wenn die Frau gern und viel herumschimpft). Bald fühlt sie sich in der Himmelsstraße wohl, findet auch einen guten Freund in dem sportbegeisterten Rudi Steiner, mit dem sie viele Abenteuer erlebt und der ihr derbe Ausdrücke wie „Saumensch“ beibringt. Er ist in Liesel verliebt und will sie immer küssen, doch sie weigert sich die ganze Zeit, bis es irgendwann zu spät ist. Er hilft ihr auch bei ihren Einbrüchen in die Bibliothek des nazitreuen Bürgermeisters Hermann – als Racheakt, weil ihre Pflegemama nicht mehr für die Familie waschen darf.
Die Handlung nimmt einen düstereren Verlauf, als der Jude Max zu Liesels Pflegefamilie kommt und von ihnen im Keller versteckt wird. Er liebt Bücher und gestaltet für das Mädchen eines (interessanterweise auf übermalten Seiten aus „Mein Kampf“ …), nachdem sie sich angefreundet haben. Überhaupt sind Bücher in dieser schwierigen Zeit ihr größter Trost, sie sammelt ihre gestohlene Schätze und lenkt sich damit z. B. während Luftangriffen ab, bei denen sie den anderen Leuten im Luftschutzkeller vorliest. Da Hans sich nicht immer unbedingt nazifreundlich und unauffällig verhält (so hilft er u. a. einem Gefangenen in einem Transportzug nach Dachau), muss Max schließlich fliehen – Liesel sieht ihn später ebenfalls unter den KZ-Häftlingen. Hans wird in die Armee eingezogen und die Himmelsstraße, die so lange von Bomben verschont wurde, wird in einem Angriff schwer getroffen. Der Tod hält dieses Mal reiche Ernte und er ist es auch, der das Buch aufsammelt, das Liesel zu schreiben begonnen hat. Es heißt „Die Bücherdiebin“ …
Der Tod ist hier keine Schreckensfigur, sondern zeigt sich humorvoll, empathisch und mit einer gewissen Unlust an seiner Aufgabe, die er aber auf Gottes Geheiß ausführen muss, auch wenn er dies nicht immer versteht.
Es war ein denkwürdiges Jahr, wie 79 nach Christus oder 1346, um nur zwei zu nennen. Vergesst die Sense – ich hätte einen Besen oder einen Wischmopp gebraucht. Oder Urlaub.
Der unkonventionelle Ton sowie die fantasievollen Beschreibungen und einprägsamen Figuren machen den Roman zu einem warmherzigen Buch, das man ins Herz schließen muss – ich glaube, dass das jedem Leser so gehen wird, wenn man den vielen begeisterten Rezensionen trauen darf. Im englischen Original – Zusak wurde zu diesem Buch von seiner deutschstämmigen Großmutter inspiriert, die wie Liesel nach Australien auswanderte – kommt durch deutsche Einsprengsel noch ein zusätzliches Stilmittel zur Geltung, das in der Übersetzung verloren geht, doch das merkt man nur, wenn man mal in „The Book Thief“ reingeschaut hat. Durch die externe (nicht-deutsche) Sicht auf das Geschehen kommt wohl der schwarze Humor, der das Buch durchzieht und mancher spitze Kommentar zu den Umständen, die in die Katastrophe führten:
Man behauptet, dass das Nazi-Deutschland auf Antisemitismus erbaut wurde, auf einem übereifrigen Führer und einer Nation von mit Hass übervölkerten Heuchler. Aber das alles hätte zu nichts geführt, wenn die Deutschen nicht eine ganz besondere Vorliebe gehabt hätten:
Etwas zu verbrennen.
Die Deutschen liebten es, Dinge zu verbrennen. Geschäfte, Synagogen, Reichstagsgebäude, Häuser, persönliche Gegenstände, die Leichen ermordeter Menschen und natürlich: Bücher. Eine gute Bücherverbrennung war Gold wert – und gab nebenbei all jenen, die eine Schwäche für Bücher hatten, die Gelegenheit, Exemplare zu ergattern, die sie unter normalen Umständen nie in die Hände bekommen hätten. (Zitat)
„Die Bücherdiebin“ erhielt den Deutschen Jugendliteraturpreis und stand lange auf der Bestsellerliste der New York Times. Und völlig zu Recht, denn sprachlich und gestalterisch sticht es wirklich hervor – man weiß beim Lesen sofort, dass man etwas ganz besonderes in den Händen hat, wie es bei den Neuerscheinungen nicht häufig vorkommt (grundsätzlich bin ich den Lieblingen der Verkaufslisten eher skeptisch eingestellt). Wenn man dem Roman ein Kompliment machen wöllte, könnte man sagen: Er ist es absolut wert, gestohlen zu werden. Liesel hätte es getan.