Ehrlich gesagt bin ich im Gegensatz zu anderen lesebegeisterten jungen Frauen kein Fan von Jane Austen. Ich habe fünf Werke von ihr gelesen („Stolz und Vorurteil“, „Sense and Sensibility“, „Emma“, „Northanger Abbey“ und „Persuasion“), aus Interesse und um meinen Kanon zu vervollständigen, aber immer fühlte ich mich leicht gelangweilt – außer bei „Northanger Abbey“, das sehr ironisch und spritzig daher kommt – oder vom eher konservativen Ende enttäuscht. Die Romanheldinnen bekommen nicht zwangsläufig, was sie wollen, sondern was gut für sie ist, die Vernunft siegt über das Gefühl. Das machte mir besonders „Sense and Sensibility“ verhasst. Oder aber, und das ist auch nicht besser, es finden sich zwei, von denen der Leser von Anfang an weiß, dass sie zusammengehören, doch die damalige Etikette macht alles übertrieben kompliziert, alle schleichen ewig um den heißen Brei herum, statt sich einmal unter vier Augen auszusprechen (oh nein, das wäre ja unschicklich!) und die Sachlage zu klären. Womit wir bei „Stolz und Vorurteil“ wären.

Quelle: fischerverlage.de
Ich hatte ja seinerzeit noch die DDR-Ausgabe im blauen Einband und ohne Titelbild
Den meisten wird die Handlung durch Buch und/oder Film bereits vertraut sein, so werde ich sie nur knapp zusammenfassen.
Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein
Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts
dringender braucht als eine Frau.
Zwar sind die Gefühle oder Ansichten eines solchen Mannes
bei seinem Zuzug in eine neue Gegend meist unbekannt, aber
diese Wahrheit sitzt in den Köpfen der ansässigen Familien so
fest, daß er gleich als das rechtmäßige Eigentum der einen oder
anderen ihrer Töchter gilt.
»Mein lieber Mr. Bennet«, sagte seine Gemahlin eines Tages
zu ihm, »hast du schon gehört, daß Netherfield Park endlich vermietet
ist?«
So beginnt die Geschichte von Mr und Mrs Bennet und ihren fünf Töchtern, die alle früher oder später an den Mann gebracht werden müssen. Die Älteste, Jane, ist ein liebreizendes Mädchen comme il faut, aber die Zweitälteste, Elizabeth, hat einen eigensinnigen und selbstbewussten Charakter, der die Partnersuche trotz ihrer Schönheit nicht unbedingt erleichtert. Die Aufregung ist groß, als das nahe herrschaftliche Anwesen einen neuen Bewohner hat: Mr Bingley, auf den sich sämtliche Mütter sogleich stürzen in der Hoffnung, er möge Gefallen an einer ihrer Töchter finden. Und Mrs Bennet ist da keine Ausnahme. Elizabeth, aus deren Sicht „Stolz und Vorurteil“ erzählt wird, neigt zu den im Titel genannten Vorurteilen und vorschnellen Urteilen, die sie über neue Bekannte fällt. Bei Bingleys Freund Mr Darcy hat sie auch allen Grund, denn er hat auf den ersten Blick nicht das einnehmendste Wesen und vor allem finden wir beim ihm die andere Hälfte des Titel: Stolz.
Mr. Bingley sah gut aus und trat wie ein Gentleman auf; er
hatte gewinnende Züge und ein offenes natürliches Benehmen.
Seine Schwestern waren vornehme Damen von ausgesprochen
modischer Erscheinung. Sein Schwager, Mr. Hurst, sah wie ein
Gentleman aus, aber das war auch alles. Sein Freund Mr. Darcy
hingegen zog schnell die Aufmerksamkeit des Saales auf sich
durch seine schlanke, große Gestalt, seine angenehmen Züge,
seinen vornehmen Ausdruck und durch das Gerücht, das schon
fünf Minuten nach seinem Eintritt in Umlauf war, er habe Einnahmen
von zehntausend pro Jahr. Die Herren nannten ihn
einen prächtigen Burschen, und die Damen waren sich einig,
daß er wesentlich besser aussah als Mr. Bingley. Während der
ersten Hälfte des Abends wurde er sehr bewundert, aber dann
rief sein Benehmen Empörung hervor, welche die Woge seiner
Beliebtheit abflauen ließ; man fand nämlich heraus, daß er stolz
war, erhaben über die anwesende Gesellschaft und über die ihm
erwiesene Freundlichkeit. Und nicht einmal sein riesiger Besitz
in Derbyshire konnte ihn nun davor retten, abstoßende,
widerliche Züge zu haben und seinem Freund nicht das Wasser
reichen zu können.
[…]
»Welche meinst du?« Und er drehte sich zu Elizabeth um und
sah sie an, bis er ihren Blick auffing. Dann sah er weg und sagte
ungerührt: »Sie ist ganz passabel, aber nicht hübsch genug, um
mich zu reizen. Im übrigen habe ich gerade keine Lust, mit Mädchen
zu tanzen, die andere Männer haben sitzenlassen. Geh lieber
zurück zu deiner Tänzerin und labe dich an ihrem Lächeln.
Mit mir verschwendest du deine Zeit.«
Mr. Bingley folgte seinem Rat. Auch Mr. Darcy ging weg,
und Elizabeth blieb mit nicht gerade warmherzigen Gefühlen
ihm gegenüber zurück. Trotzdem erzählte sie die Geschichte
sehr anschaulich ihren Freundinnen, denn sie hatte einen
ausgeprägten Sinn für komische Situationen.
In typisch Austenscher Manier folgen viele Verwicklungen: zwischen Jane und Mr Bingley keimt eine Liebe auf, die Darcy anscheinend sabotiert, während Elizabeth den Antrag eines verwandten Pfarrers, des albernen und hochnäsigen Mr Collins, ablehnt (der sich anschließend prompt mit Lizzys bester Freundin verlobt). Dann kommt noch ein gewisser Mr Wickham ins Spiel, der schlecht über Darcy spricht – und damit Elizabeths Meinung bestätigt –, sich aber als wenig besser erweist, als er mit der jüngsten Bennet-Schwester Lydia das Weite sucht. So gibt es viel Aufregung für die arme Mrs Bennet, und für Elizabeth nicht minder.
»Vergeblich habe ich mit mir gekämpft. Es nützt nichts.
Meine Gefühle lassen sich nicht unterdrücken. Ich muß Ihnen
einfach sagen, wie sehr ich Sie bewundere und liebe.«
Elizabeth war sprachlos. Sie staunte, errötete, zweifelte und
schwieg. Das gab ihm Mut genug, und das Bekenntnis alles
dessen, was er für sie empfand, schon lange für sie empfand,
brach aus ihm hervor. Er sprach geschickt, aber er gestand ihr
nicht nur seine Liebe, auch andere Dinge gingen in ihm vor, und
sein Stolz machte ihn nicht minder beredt als seine Liebe. Das Bewußtsein ihrer sozialen Unterlegenheit, sein gesellschaftlicher
Abstieg, die Überzeugung, daß familiäre Hindernisse
seiner Neigung im Weg standen, wurden mit einer Leidenschaft
vorgetragen, aus der seine ganze Selbsterniedrigung
sprach, die aber nicht dazu angetan war, seiner Werbung zum
Erfolg zu verhelfen.
So endet der erste Versuch nicht mit dem erhofften Ergebnis und beide müssen einiges ausstehen und über den anderen lernen, bis es zum vom Leser herbeigesehnten Happy End kommt. Es zieht sich, es müssen viele Besuche, Kutschfahrten und Spaziergänge unternommen und etliche Briefe geschrieben werden, doch zu guter Letzt sind drei der Schwestern unter der Haube und ihr gutherziger Vater kommt kaum nach mit dem Geben seiner Zustimmung.
Schließlich ließ er sie gehen und sagte, als sie
an der Tür war: »Sollten da noch irgendwelche Bewerber für
Mary oder Kitty sein, schick sie herein, ich bin in der denkbar
besten Laune.«
Viel interessanter als das Buch an sich finde ich, wie ikonenhaft dieser Roman vor allem in der englischsprachigen Welt geworden ist. Von merkwürdigen modernen Spinoffs wie „Stolz und Vorurteil und Zombies“ möchte ich gar nicht reden – man braucht nur „Mr Darcy“ zu sagen und die Damen beginnen sehnsuchtsvoll zu seufzen, jeder weiß gleich, wer gemeint ist – er ist quasi der männliche, romantische Held schlechthin. Keinen geringen Anteil daran hat die Filmwelt: Ob nun die Hollywood-Version von 1940 mit Laurence Olivier, die von 2005 mit Keira Knightley und Matthew Macfayden (zugegeben wirklich ein Film zum Seufzen) oder die von Bridget Jones so heißgeliebte BBC-Fassung mit Colin Firth als Darcy (der dann in einem genialen Twist Bridgets „realen“ Freund spielte) oder in all den Filmen über Jane Austen wie „Geliebte Jane“, wo aufgezeigt wird, wie eine angeblich unglückliche Romanze der Autorin als Vorlage für ihre Bücher diente: Jane Austen ist und bleibt ein kulturelles Phänomen, was angesichts eines Alters von 200 Jahren wirklich erstaunlich ist. Man denke nur an den etwa ebenso alten „Faust“, der bei heutigen Schülern/Lesern längst nicht solchen Enthusiasmus hervorruft, und bei Filmemachern erst recht nicht. Vielleicht sehnen wir uns unbewusst nach einer Zeit, als die Frauen hübsche Empire-Kleider trugen und warteten, bis ihnen ein Mann einen Antrag machte. All das Geschachere ums Heiraten, wo es oft genug ums Finanzielle statt um Gefühle ging, und wie es denen erging, die eben keinen abbekamen, wird dabei unbewusst gern ausgeblendet – Jane Austens Zeit war längst nicht so romantisch, wie wir uns das heute manchmal vorstellen. Und in ihren Büchern verhehlt sie das auch nicht, nur versucht sie zu zeigen, wie es anders sein könnte, oder wie man das Gegebene mit einem Lächeln und viel Geduld und Demut hinnehmen muss.