Inspirationsquellen

Barbara Sichtermann/Joachim Scholl – 50 Klassiker: Romane vor 1900

Von den in diesem Band vorgestellten 50 Romanen habe ich eine Liste in Word erstellt, und nach und nach alle gelb markiert, die ich gelesen habe. Und ich kann voller Stolz sagen, dass sie kaum noch weiße Stellen enthält – und wenn, dann ist das Absicht. „Bildnis einer Dame“ lese ich grundsätzlich nicht, mit Henry James bin ich fertig. Rousseaus „Julie oder Die neue Heloïse“, Kellers „Der grüne Heinrich“ (Vollmann warnte) oder Novalis‘ „Heinrich von Ofterdingen“ muss man vielleicht nicht unbedingt kennen (Einsprüche nehme ich gern entgegen), besonders letzteres scheint mir ein Modephänomen und Manifest der deutschen Romantik zu sein, was heute zurecht kaum noch gelesen wird – andererseits ist das ja immer eine Herausforderung für mich… Die ältesten aufgeführten Werke, „Don Quijote“ und „Gargantua und Pantagruel“, stehen ebenfalls noch aus: Bei ersterem liegt es an dem Phänomen, das die Handlung selbst hinreichend bekannt ist, sodass man glaubt, den Roman nicht mehr lesen zu müssen; letzteres ist eine derbe Barocksatire über zwei titelgebende Riesen aus dem 16. Jahrhundert – zweifellos von großer Wichtigkeit für die Literaturgeschichte, aber bei solch alten Büchern habe ich immer Bedenken, ob sie heute noch „lesbar“ im Sinne von „unterhaltsam“ sind. Die erste Stelle in „50 Klassiker: Romane vor 1900“ hat Rabelais‘ Werk aufgrund des Alters jedenfalls sicher.

Quelle: lovelybooks.de

Allgemein war ich immer ein Freund der etwas älteren Bücher, sie müssen nicht so betagt wie die oben erwähnten sein, aber alles im 19. Jahrhundert geschriebene lese ich mit Freuden. Und die Autoren Joachim Scholl und Barbara Sichtermann haben mir da einige Schätze aufgezeigt bzw. zum Lesen angeregt. Bestes Beispiel ist „Middlemarch“: Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich weder von dem Roman noch vom Autor (bzw. der Autorin) George Eliot jemals etwas gehört – was nicht verwundert angesichts ihrer geringen Popularität in Deutschland, die ich nicht aufhöre zu beklagen, gleiches gilt übrigens für Thomas Hardy. Oder „Oblomow“ von Iwan Gontscharow über einen Faulenzer par excellence, ein Roman, der im Schatten all der berühmten russischen „Elefanten“ von Tolstoi und Dostojewski steht, was wirklich schade ist. Und von Edgar Allan Poe kennt man häufig nur die Kurzgeschichten, sein Roman „Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym“ wird gern übersehen, aber nicht von Scholl und Sichtermann und demzufolge dann auch nicht von mir. Andere Lücken, die nach und nach geschlossen wurden, manchmal nach langem und vergeblichen Suchen, waren z. B. „Jacques der Fatalist und sein Herr“ (Zufallsfund in Lancaster, auf Französisch), „Die Handschrift von Saragossa“, „Verlorene Illusionen“ und sogar „Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ – so viel zum Thema sehr alte Bücher, grundsätzlich habe ich keine Einwände dagegen und dieser während des Dreißigjährigen Kriegs spielende Schelmenroman war überaus vergnüglich. Ich kann mich auch noch gut erinnern, wie ich im Schulpark während einer Freistunde Voltaires „Candide“ las, irgendwie surreal. „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ bekam ich im gleichen Jahr von meinem Vater und erfreute mich daran während des Sommers vor Studienbeginn.

Genau so schön, wie Neues zu entdecken, ist für mich aber auch, mehr über bereits Bekanntes zu erfahren und so las ich mit großem Vergnügen die Essays zu „Schuld und Sühne“, „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“, „Krieg und Frieden“ (das ich zeitgleich mit den „50 Klassikern“ goutierte) und „Das Bildnis des Dorian Gray“, in das ich mich wenige Monate zuvor geradezu verliebt hatte. Die von Scholl und Sichtermann zusammengestellte Liste (vollständige Übersicht hier) erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber sie haben eine schöne Auswahl aus bis heute bekannten und beliebten Werken wie „Madame Bovary“, „Effi Briest“, „Stolz und Vorurteil“ und eher in Vergessenheit geratenen Romanen wie die oben erwähnten getroffen, darunter auch die Jugendbuchklassiker „Robinson Crusoe“, „Der Graf von Monte Christo“ und „Die Schatzinsel“. Deutsche Romantik trifft auf französischen Rokoko, Hamsuns Realismus aus „Hunger“ auf viktorianisches Drama wie in „Sturmhöhe“, die Fantasie-Nonsenswelt von Lewis Carroll auf Gogols beißende Satire „Die toten Seelen“. Zwar längst nicht so ausschweifend und umfangreich wie Rolf Vollmanns „Roman-Verführer“, ist „50 Klassiker: Romane vor 1900“ doch ein unentbehrliches Handbuch für alle, die sich einen Überblick über die Entwicklung und Meilensteine des Romans von seinen Anfängen vor über 400 Jahren bis zu seiner Blütezeit im 18. und 19. Jahrhundert verschaffen wollen. Über den ganzen „modernen Kram“ informiert dann „50 Klassiker: Romane des 20 Jahrhunderts“, aber ehrlich gesagt, ich würde lieber noch zehn Mal „David Copperfield“ und „Der Glöckner von Notre-Dame“ als einmal „Ulysses“ oder „Mrs Dalloway“ wiederlesen. Mit Freuden.

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