Und dann war da noch

Wilhelm Busch – Fipps, der Affe

„Pegasus, du alter Renner, trag mich mal nach Afrika/Allldieweil so schwarze Männer und so bunte Vögel da/Kleider sind dort wenig Sitte, höchstens trägt man einen Hut/auch wohl einen Schurz der Mitte – man ist schwarz und damit gut.“

Ich war nie besonders gut im Auswendiglernen von Gedichten während der Schulzeit, selbst beim „Erlkönig“ blieb ich stecken und die Rezitation des „Handschuh“ verlief wenig erfreulich (Grund war natürlich auch immer die Nervosität beim öffentlichen Deklamieren). Den einzigen „Klassiker“, den ich bis heute fehlerlos aufsagen kann, ist Goethes „Osterspaziergang“ und den lernte ich freiwillig, ohne Zwang. Und dann ist da eben „Fipps, der Affe“ von Wilhelm Busch, das ich in der Kindheit so oft vorgelesen bekam bzw. selber las, dass ich mühelos ganze Passagen daraus zitieren kann. So geht es wohl vielen Leuten mit Texten, die sie früher oft gehört haben, wodurch sie sich unwillkürlich einprägen.

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Quelle: buchfreund.de 

Im Netz gefunden: ein weiteres Exemplar der Ausgabe von 1909

Ich bekam das Buch von meinem Vater geschenkt, und typischerweise war es eine sehr alte Ausgabe von 1909 – im Laufe meines Lebens erhielt ich viele solche antiquarischen Schätze, und dieser hatte sicher schon ihn in seiner Kindheit erfreut und unterhalten. Nebenbei hatte das Buch den Nutzen, dass ich bereits früh die deutsche Frakturschrift lesen lernte, als ich in der Freude über meine neu erworbene Fähigkeit (die ich mir selbst quasi von einem Tag zum anderen beibrachte) jeden Text verschlang, der mir in die Hände kam. Natürlich hatte ich auch „Max und Moritz“, und später bekam ich einen Wilhelm-Busch-Sammelband, in dem „Die fromme Helene“, „Hans Huckebein“, die „Knopp“-Trilogie, „Plisch und Plum“ und vieles mehr enthalten war, doch keine der Geschichten wuchs mir so ans Herz wie die des frechen Affen, dessen Streiche oftmals alles andere als harmlos sind und dessen Tod am Ende deshalb von den meisten freudig begrüßt wird. Bei Busch ist es ja oftmals so, dass die zweifelhaften „Helden“ auf mehr oder wenige grausame Weise ums Leben kommen (man denke nur an die zu Gänsefutter gemahlenen Max und Moritz, oder an Hans Huckebein, der sich unfreiwillig erdrosselt) und so ein warnendes Exempel darstellen.

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Klapp! schnappt die eiserne Falle zu.

Im Grunde sind Fipps‘ Abenteuer wirklich fast zu grausam, um sie Kindern vorzulesen, doch kann man das Gleiche ja auch von Märchen behaupten. Allerdings hat man bei Busch noch seine grafischen Darstellungen und besonders fasziniert scheint er von malträtierten oder abgelösten Körperteilen gewesen zu sein. Zuerst rächt sich der Affe bei einem Jäger, der ihn verspeisen möchte, indem er einen Ast durch dessen Nasenring steckt und ihn dann so lange dreht, bis der Ring samt Nase abgerissen wird. – „Der Schwarze aber aß seit dieser/Begebenheit fast nur Gemüser.“ Eingefangen und nach Deutschland gebracht, betätigt er sich als Friseurgehilfe und schneidet einem Kunden erst ins Ohr, bevor er die Wunde mit der Kräuselzange „behandelt“. Schließlich findet er Unterkunft im Haus von Doktor Fink (der zunächst auch nicht sanft mit ihm umgeht: als vermeintlicher Hühnerdieb wird Fipps zunächst in einem Sack durchgeprügelt), wo er als pläsierliches Haustier gehalten und verwöhnt wird und sich vor allem bei Kindermädchen Jette sowie Kater Gripps und Hund Schnipps nicht beliebt macht. Letzteren spielt er besonders übel mit, als er dem Kater erst alle Krallen entfernt, dann den Hund über einen Brunnen schaukeln lässt und ihn bis hoch zum Schornstein schleppt – der anschließende Fall geht zwar noch glimpflich für Schnipps aus, doch durch unglückliche Umstände wird noch Gripps‘ Schwanz abgetrennt. „Seitdem wird Fipps von diesen zween/Als Meister verehrt und angesehn.“ Doch sämtliche Schandtaten werden wettgemacht durch die heldenhafte Rettung der kleinen Elise, die von ihren Eltern im brennenden Haus vergessen wird, woraufhin Fipps mit ihr auf den Armen durch das Fenster und einen Baum herunterklettert. Dieses 11. Kapitel habe ich immer am meisten geliebt und kann es zu jeder Tag- und Nachtstunde hersagen:

Wie gewöhnlich liest die Jette
Wieder nachts in ihrem Bette.

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Auf dem Kopf hat sie die Haube,
In der Hand die Gartenlaube.
Hieran will sie sich erfreun,

Duselt, nickt und schlummert ein.
An das Unschlittkerzenlicht
Daran freilich denkt sie nicht. –

Erst brennt nur die Zeitungsecke,

Dann der Vorhang, dann die Decke.

Schließlich brennt das ganze Haus –

Unten läuft man schon heraus.

Vater Fink, er läuft nicht schlecht,
Trägt den neuen Stiefelknecht.

Mutter Fink, besorgt vor allen,
Rettet ihre Mäusefallen.

Jette schwebt vom Fensterrand;
Sie ist etwas angebrannt.

Doch sie sinkt ins Regenfass

Wo es drinnen kühl und naß. –

Also sicher wären diese. –

Aber ach, wo ist Elise?

Seht nach oben! Fipps der Brave
Hält das Kind, was fest im Schlafe.

Aus dem Fenster, hoch im Raume,
Schwingt er sich zum nächsten Baume.

Höchst besorgt, wie eine Amme,
Rutscht er abwärts an dem Stamme.

Sanft legt er Elisen nieder.
Sie hat ihre Eltern wieder;
Und die Flasche steht dabei,
Falls Elise durstig sei. –

Meine Oma, die mir gewöhnlich vorlas, fand die Zeile mit den Mäusefallen immer ganz toll, weil sie sich vor den kleinen Nagern ekelt. Dass die „Gartenlaube“ eine Illustrierte der Biedermeier-Zeit war, lernte ich erst später, als Kind hinterfragt man wenig, auch nicht, wenn jemand eine „Gartenlaube“ mit im Bett hat. Überhaupt erschließt sich manches nicht sofort, z. B. der Vers „Schnell fasst er die Flinte, ein Schießeding/Was da seit Anno fünfzehn hing“ – nämlich seit dem Ende der napoleonischen Befreiungskriege. Mit dieser Flinte wird Fipps dann von dem Baum, auf den er sich geflüchtet hat, heruntergeschossen, und ausgerechnet von Bauer Dümmel, dessen Ohr er damals so übel zugerichtet hatte. So kommen am Schluss wie zufällig alle seine Opfer zusammen, um Abschied von dem Affen zu nehmen, aber nur Elise vergießt ein paar Tränen für ihn. „Doch, dass Kater Gripps und Schnipps der Hund/Ganz untröstlich, sagt man ohne Grund.“

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Quelle aller Zeichnungen: gutenberg.spiegel.de

Wenn immer ich die Verse lese, sind damit ganz besondere Erinnerungen verbunden, und so kommt es, dass ich manchmal unwillkürlich Zeilen sage wie „Natürlich lässt Fipps all die ekligen Sachen/Ohne neidisch zu sein von anderen machen“ (wenn die ganzen unangenehmen Aufgaben im Haushalt mal wieder an mir hängen bleiben), „Aufrecht stehet er da, und alles erträgt er mit Würde“ oder „Schon wird es dunkel und nicht geheuer“ – sie sind einfach Teil meines Zitateschatzes geworden.

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