Ein Monat - ein Buch

Oktober 2013: Stella Gibbons – Cold Comfort Farm

Der britische Humor ist bekannt dafür, dass man ihn im Ausland nicht immer versteht, und „Cold Comfort Farm“ ist – ebenso wie „Three Men In A Boat“ von Jerome K. Jerome. – ein weiteres Beispiel dafür. Auf der Insel ein noch immer beliebter Klassiker, hat man woanders selten von ihm oder seiner Autorin gehört. Für mich handelte es sich zumindest um Neuland (Dass es sowas noch gibt!), als ich durch Nick Rennisons „100 Must-Read Classic Novels“ darauf aufmerksam gemacht wurde, aber die Inhaltsangabe klang vielversprechend. Zugegebenermaßen fand ich es weniger witzig als erwartet, aber zum Lachen brachte es mich allemal.

9780241951514

Quelle: penguin.com.au

Der Roman erschien 1932 und ist eine Parodie auf die damals populären Geschichten über schicksalsgeplagte Menschen im ländlichen England, die in der Literatur des Landes eine lange Tradition haben (man denke nur an Hardy und die Brontë-Schwestern). Gibbons beschäftigte sich im Auftrag des Evening Standard, für den sie arbeitete, mit solchen Büchern, stieß dabei auf immer wiederkehrende Motive, klischeehafte Charaktere und alberne Plot-Verläufe und beschloss, das Genre einmal gründlich aufs Korn zu nehmen. So entstand „Cold Comfort Farm“.

The education bestowed on Flora Poste by her parents had been expensive, athletic and prolonged; and when they died within a few weeks of one another during the annual epidemic of the influenza or Spanish Plague which occurred in her twentieth year, she was discovered to possess every art and grace save that of earning her own living.

Die zauberhafte Flora wohnt zunächst bei ihrer Freundin Mrs. Smiling, deren Hobby das Sammeln von Büstenhaltern ist, und schreibt Briefe an ihre Verwandtschaft, in der Hoffnung, dass jemand sie aufnehmen könnte, nun da sie nach dem Tod der Eltern mittellos dasteht – solange, bis sie einen geeigneten Mann zum Heiraten gefunden hat. Von den zahlreichen Verwandten erhält sie die einzige Einladung von den hoffnungslos degenerierten Starkadders, die einen Bauernhof irgendwo in Sussex haben, die bewusste Cold Comfort Farm. Aber das schreckt die zielstrebige, moderne Flora nicht im Geringsten ab, liebt sie doch nichts mehr, als das Leben anderer Leute in Ordnung zu bringen und ihnen den Weg zum (vermeintlichen) Glück zu zeigen. Und so nimmt sie denn den Zug ins Dörfchen Howling und lernt diesen entfernten Teil der Familie kennen: Cousine Judith, die in dem Glauben lebt, für ein Vergehen ihres Vaters büßen zu müssen; ihr Mann Amos, der zu einer evangelikalen Gemeinde gehört und gern von ewiger Verdammnis predigt; ihr ältester Sohn Reuben, der nur an sein zukünftiges Erbe denkt und argwöhnt, dass Flora darauf aus ist; und sein gutaussehender und hormongesteuerter Bruder Seth, dessen Lieblingsbeschäftigung das „mollocking“ ist, was bereits zu vier unehelichen Kindern mit der Magd Meriam geführt hat.

‚Robert Poste’s child will be here by the six o’clock train at Beershorn. You must leave to meet it at five. I am going up to tell Mrs Starkadder that she is coming.‘

Adam did not reply. And Seth, sitting by the fire, was growing tired of looking at his postcards, which were a three-year-old gift from the vicar’s son, with whom he occasionally went poaching. He knew them all by heart now. Meriam, the hired girl, would not be in until after dinner. When she came, she would avoid his eyes, and tremble and weep.

He laughed insolently, triumphantly. Undoing another button of his shirt he lounged out across the yard to the shed where Big Business, the bull, was imprisoned in darkness.

Laughing softly, Seth struck the door of the shed. And as through answering the deep call of male to male, the bull uttered a loud, tortured bellow that rose undefeated through the dead sky that brooded above the farm.

Seth undid yet another button, and lounged away.

Dann gibt es noch die Tochter Elfine, die elfengleich durch Wiesen und Felder streift und in den Sohn des örtlichen Gutsherren verliebt ist; sowie diverse männliche Stiefcousins, die alle mit ihren Frauen auf dem Hof wohnen; und schließlich die Matriarchin Ada Doom, Judiths Mutter, die nie aus ihrem Zimmer geht, alle terrorisiert und ihren Wahnsinn ständig darauf schiebt, dass sie als Kind „something nasty in the woodshed“ sah. Für alle hat Flora schnell einen Plan parat und räumt bald so richtig auf mit den hinterwäldlerischen Traditionen und düsteren Geheimnissen. Das beginnt damit, dass sie dem 90-jährigen Knecht Adam eine Bürste kauft, damit er nicht mehr mit einer Distel oder ähnlich kratzigen Pflanze das Geschirr säubern muss, und hört bei einer Lehrstunde in Verhütung für Meriam noch längst nicht auf. So verhilft sie Seth zu einer Karriere beim Film – er geht leidenschaftlich gern ins Kino –, animiert Amos, Wanderprediger zu werden, sodass er die Farm an Reuben weitergibt, und überredet Tante Ada mit einer Ausgabe der „Vogue“, endlich mal etwas Spaß zu haben und in Paris die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen. Flora selbst kommt natürlich auch nicht zu kurz: Mit einem anderen, nicht zu den Starkadders gehörenden Cousin entschwebt sie am Ende in einem Lufttaxi (das Buch spielt in der „Zukunft“, sodass ein bisschen Sci-Fi dazugehört) ins Happy End.

No one had seen anything of Urk since he had gone galloping out into the night carrying Meriam, the hired girl. It was generally assumed that he had drowned her and then himself. Who cared, anyway?

Von einem aufdringlichen Verehrer Floras, dem Literaten Mr Mybug, kommt ein Hinweis auf Gibbons‘ Inspiration, er schreibt nämlich gerade über die Brontës und will beweisen, dass sämtliche ihrer Bücher tatsächlich von ihrem Bruder Branwell stammen – ein Seitenhieb auf Frauen im Literaturbetrieb, von denen nichts Substanzielles stammen kann? Die Autorin hat jedenfalls keinesfalls eine bissige Satire geschrieben, sondern vielmehr eine liebevolle, zugespitzte Parodie auf die Verklärung des Landlebens, wie man sie bei den Briten häufig antrifft. Einige Charaktere sprechen einen Fantasiedialekt (Dialekt im englischen Roman gehörte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts quasi zum guten Ton, und je uriger/unverständlicher, desto besser), und Wörter wie das erwähnte „mollocking“ oder die Pflanze „sukebind“ sind ebenfalls erfunden – was man als Nicht-Muttersprachler freilich nicht merkt. Ich hatte ein paar vergnügliche Stunden damit, das Buch war eine ideale Ablenkung, weil meine Arbeit damals ausgesprochen trostlos war und ich dringend etwas Fröhlichkeit brauchte. So saß ich manchmal kichernd in der Mittagspause mit „Cold Comfort Farm“ in der Küchenecke. Stella Gibbons schrieb zwei Fortsetzungen über die Starkadders bzw. ein „Prequel“ („Christmas at Cold Comfort Farm“) und ein „Sequel“ („Conference at Cold Comfort Farm“), die jedoch nicht den gleichen Erfolg wie der erste Roman hatten. Wer Bekanntschaft mit den Kühen Graceless, Aimless, Feckless und Pointless schließen möchte, die gern mal ein Horn, Bein oder anderes Körperteil verlieren, oder wissen möchte, was Ada denn eigentlich so „nasty“ im Holzschuppen gesehen hat – nicht, das es von Bedeutung wäre … – sollte sich dieses nette kleine Buch holen, oder die BBC-Verfilmung von 1995 ansehen, die den Bewertungen zufolge sehr lohnenswert sein soll. Aber dazu kann ich nichts sagen, weil ich sie nicht kenne.

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