Ein Monat - ein Buch

Juni 2008: Volker Weidermann – Das Buch der verbrannten Bücher

Bekanntermaßen sagte Heinrich Heine den klugen Satz: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ und jeder weiß, wie sehr er sich im Dritten Reich bewahrheitet hat. Über die Bücherverbrennung der Nazis lernen wir in der Schule meist im Geschichtsunterricht, aber nur selten kommt dabei zur Sprache, wessen Werke da eigentlich auf den Scheiterhaufen landeten und aus welchen Gründen. Deshalb war Volker Weidermanns „Buch der verbrannten Bücher“ eine äußerst interessante Lektüre für mich, weil er darin die verfemten Autoren vorstellt, von denen viele heute in Vergessenheit geraten sind – was nicht zuletzt die Schuld der Nazis ist. Man begreift beim Lesen einmal mehr, welche Macht den Büchern eingeräumt wurde (ob nun zu Recht oder nicht), die man als „gefährlich“ einstufte. Sie sollten für immer verschwinden.

Quelle: libro.at

Weidermann beleuchtet zunächst die Hintergründe dieser plakativen Aktion, die am 10. Mai 1933 in Berlin und in den Monaten davor und danach an vielen Orten Deutschlands stattfand. Sie kam aus der studentischen völkischen Bewegung und der Bibliothekar Wolfgang Herrmann, der eine „Verbotsliste“ mit 131 Namen zusammenstellte, konnte sich dabei der Unterstützung von Buchhandlungen und Bibliotheken sicher sein, die mehr oder weniger eifrig ihre Bestände von diesem „Schund“ säuberten. Als besonders undeutsch galten natürlich Werke mit kommunistischem Inhalt und von jüdischen Schriftstellern, aber auch solche, die sich kritisch-expressionistisch mit dem 1. Weltkrieg und dem Großstadtleben beschäftigten oder allgemein als „unsittlich“ galten. Satirische Kommentatoren, kritische Reporter oder der Weimarer Republik zugewandte Autoren waren ebenfalls unbeliebt. Die Liste wurde laufend erweitert und ein Jahr später befanden sich bereits über 3000 Titel darauf, am Ende über 12.000. Und es fanden sich darauf längst nicht nur deutsche Namen, sondern auch Amerikaner (Hemingway, Upton Sinclair) sowie zahlreiche Russen. Für viele deutsche Autoren war die öffentliche Diffamierung ihrer Person und Werke bereits das Signal, möglichst schnell das Land zu verlassen, was oft in einer langen Flucht von einem Exil zum nächsten endete: „Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd“, schrieb Brecht in seinem bewegenden Gedicht „An die Nachgeborenen“. Einige, beispielsweise Erich Kästner, waren bei der Bücherverbrennung sogar selbst zugegen und hörten unerkannt in der schützenden Menge quasi ihr künstlerisches Todesurteil.

Was sind das alles für Leute? Was sind das für sonderbare, nie gehörte Namen? Hans Sochaczewer, Otto Linck, Hermann Essig, Maria Leitner, Alfred Schirokauer, Ernst Johannsen, Albert Hotopp, Rudolf Geist, Alex Wedding und viele, viele mehr? Sie alle sind heute vergessen. Sie alle haben Bücher geschrieben, die den nationalsozialistischen Machthabern und ihren Helfershelfern in Deutschland vor fünfundsiebzig Jahren so gefährlich erschienen, dass man sie öffentlich verbrannte. […] Ihre Namen sollten ausgelöscht werden aus den Geschichtsbüchern, ausgelöscht aus dem Gedächtnis des Landes, ihre Bücher sollten spurlos verschwinden – für immer. Es ist beinahe gelungen.

Nach seiner erläuternden Einführung stellt Weidermann alle 131 Autoren vor, die Bibliothekar Herrmann damals auf seine Liste setzt. Und wie er in seinem Vorwort ganz richtig schreibt, hat man selbst als Vielleser von einigen noch nie etwas gehört. Seine Recherchearbeit war in der Tat immens, er spürte Biografien nach, las die verbrannten, heute häufig kaum noch aufzutreibenden Bücher und beschäftigte sich intensiv mit einem äußerst interessanten, aber auch sehr tragischen Stück deutscher Literaturgeschichte (ein Interview mit ihm dazu gibt es hier). Zu den Opfern der Bücherverbrennung zählte zum Beispiel Gustav Meyrink, dessen „Golem“ in den 1910er Jahren ein internationaler Bestseller war. Der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch und der vor allem als Freund und Herausgeber von Franz Kafka bekannt gewordene Max Brod. Lisa Tetzner, nach der in meinem Studienort (wo sie geboren wurde) eine Straße benannt ist und die Kinderbücher schrieb. Der mysteriöse B. Traven, dessen Identität nie ganz geklärt wurde, sein Roman „Der Schatz der Sierra Madre“ wurde zu einem bekannten Hollywood-Film. Irmgard Keun, deren „Kunstseidenes Mädchen“ über eine junge Frau, die in den nicht so goldenen Zwanzigern ihr Glück sucht, in den letzten Jahren vom Publikum wiederentdeckt wurde (glücklicherweise). Joseph Roth, den die erzwungene Emigration frühzeitig ins Grab brachte. Wie ja so viele diesen Bruch in ihrer Biografie nicht verkrafteten und sich im Exil sogar das Leben nahmen, man denke an Stefan Zweig oder Walter Hasenclever. Wenn sie nicht, wie im Fall von Georg Hermann, von den Nazis selbst umgebracht wurden … Manche Autoren mögen zu Recht vergessen sein, doch insgesamt liest sich Weidermanns Buch wie ein Who is Who der herausragendsten deutschsprachigen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt ist der kulturelle Schaden, den sich das Land durch Verbot und Vertreibung von Leuten wie Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann oder Franz Werfel zufügte, kaum zu ermessen und von diesem Einschnitt hat sich der deutsche Kulturbetrieb (sei es Literatur, Film oder Musik) lange nicht erholt.

Ich empfand „Das Buch der verbrannten Bücher“ als wirklichen Schatz, es ist nicht nur äußerst informativ, sondern auch spannend geschrieben und man wird von den vielen oft tragisch endenden Lebensläufen sehr berührt. Allerdings denke ich mit einiger Beschämung an die Lektüre zurück, das entliehene (noch ganz neue) Exemplar bekam nämlich durch in der Tasche auslaufenden Saft etliche böse Flecken. Und so etwas gibt es bei mir eigentlich nicht, ich achte immer darauf, sorgsam mit Büchern umzugehen, zumal wenn sie mir nicht gehören. Deshalb möchte ich mich nochmals dafür bei der Bibliothek in L. entschuldigen und hoffe, es hat nachfolgende Interessenten nicht davon abgehalten, es mit ebensolcher Begeisterung wie ich zu lesen.

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