Ein Schafskrimi. Wenn sich Tiere im Roman als Ermittler versuchen, bin ich eher skeptisch, vor allem bei den zahlreichen Katzenkrimis – und ja, dieses Genre hat mittlerweile seinen eigenen Preis. Mancher Autor scheint da zwei Seelen in der Brust zu tragen, eine verschnurrt-tapsige und eine aufrührerisch-verstörende (siehe Sybille Lewitscharoff und Akif Pirinçci, die sich mit unterschiedlichem Erfolg an Katzenkrimis versuchten). Meiner Meinung nach sind solche Bücher von der Wirklichkeit zu weit entfernt: Wenn in „Watership Down“ Kaninchen einen neuen Bau suchen und um Weibchen kämpfen, dann scheint mir das noch halbwegs realistisch, selbst wenn die Tiere einige menschliche Züge tragen und als Wesen mit eigener Sprache und Kultur beschrieben werden. Aber sie tun jedenfalls nichts „unkaninchenmäßiges“, während detektivische Unternehmungen bei Katzen, Hunden, Pferden oder Wanzen einfach unglaubwürdig sind. Ich spreche Tieren nicht ab, intelligente Wesen zu sein, aber eben nur bis zu einem gewissen Maß. Außerdem hege ich das Vorurteil, dass Leser von Tierkrimis auch „Warrior Cats“, Cecilia Ahern und Dora Heldt konsumieren, ohne diesen Menschen zu nahe treten zu wollen.

Quelle: ebook.de
Aber „Glennkill“ fand ich gut und sehr originell. Die leitende Ermittlerin trägt den schönen Namen Miss Maple und ihre Herde kennt sich mit Kriminalgeschichten bestens aus, hat doch ihr Schäfer George ihnen immer welche vorgelesen. Leider ist dieser jetzt gewaltsam zu Tode gekommen.
Der Schäfer lag neben dem Heuschuppen unweit des Feldweges im grünen irischen Gras und rührte sich nicht. Eine einzelne Krähe hatte sich auf seinem wollenen Norwegerpullover niedergelassen und äugte mit professionellem Interesse in sein Innenleben. Neben ihm saß ein sehr zufriedenen Kaninchen. Etwas entfernter, nahe der Steilküste, tagte die Konferenz der Schafe.
Natürlich beschäftigt sie der Mord an George sehr stark, vor allem Miss Maple, „möglicherweise das klügste Schaf der Welt“, und es dauert nicht lange, bis sie erste Mutmaßung anstellt. Vieles in der Menschenwelt ist für die Schafe unverständlich, manchmal deuten sie deren Aussagen und Verhalten falsch, doch erkennen sie z. B. am Geruch, ob jemand Angst hat und liegen am Ende mit ihren (zum Teil recht amüsanten) Mutmaßungen meist richtig. Außerdem kommen ihnen ihre Kenntnisse aus Georges Krimi zugute. Und nicht zuletzt hat jedes Schaf seine individuellen Stärken und Schwächen: Da ist etwa der geheimnisvolle schwarze Widder Othello, die draufgängerische Zora, der schon ziemlich alte Leitwidder Sir Ritchfield, der ungestüme junge Ramses, die wollige Cloud und der immer hungrige Mopple the Whale mit seinem Elefantengedächtnis. Alle zusammen tragen sie am Ende dazu bei, dem Rätsel auf die Spur zu kommen und den Täter wie in „Hamlet“ durch ein kleines Theaterstück öffentlich zu überführen. Und dann ist da noch Melmoth, der mysteriöse Zwillingsbruder von Sir Ritchfield, der natürlich ein Wanderer ist und wie eine legendenumwobene Figur durch die Geschichte geistert. Sein Verschwinden hat den Leitwidder so geprägt, dass sein eiserner Grundsatz seitdem lautet: „Kein Schaf verlässt die Herde!“ Die Tiere zeigen sich auch sehr willensstark, als es etwa um die Bestimmung eines neuen Schäfers geht: Sie entscheiden sich für Rebecca, Georges uneheliche Tochter, die ihnen laut Testament von nun an vorlesen und mit ihnen durch Europa wandern soll.
„Ich denke, wir sollten herausfinden, was das für ein Mensch war. Das sind wir dem alten George schuldig. Wenn ein wilder Hund eines unserer Lämmer gerissen hatte, versuchte er auch immer, den Schuldigen zu finden. Außerdem gehörte er uns. Er war unser Schäfer. Keiner hatte das Recht, einen Spaten in ihn zu stecken. Das ist Wolferei, das ist Mord!“
Die Münchner Autorin landete 2006 unter dem Pseudonym Leonie Swann mit dem Roman einen Riesenerfolg, der mittlerweile sogar verfilmt werden soll. Das Buch wurde in 30 Sprachen übersetzt und rühmt sich eines Nachfolgerbands, „Garou“, der in Frankreich spielt und meiner Meinung nach sogar besser als „Glennkill“ ist. Die Kritiker zeigten sich trotzdem nicht sonderlich angetan:
Und an Tiefe mangelt es auch. Auffallend ist einzig die infantile Liebheit, auf deren Niveau sich Amüsement und Unterhaltung bewegen.
Dabei beschreibt Swann wirklich auf fantasievolle, bildhafte Weise, was so in einem Schafshirn vorgehen könnte und schafft es, den einzelnen tierischen Charakteren eine eigene Persönlichkeit zu geben (falls man doch mal durcheinander kommt, hilft die Liste der Schafe mit Kurzbeschreibung am Anfang des Buchs). Ja, es ist eine harmlos-vergnügliche Lektüre, aber zur Abwechslung nicht schlecht. Ich lese kaum „echte“ Krimis und keine Thriller, kann aber nachvollziehen, wenn manchen die Erzählweise zu langweilig sein mag. Für eine gemütliche Lesestunde im grünen Gras – vielleicht sogar in Irland, mit Blick auf eine Schafherde – gibt es jedoch kaum ein schöneres Buch als dieses. Und last but not least: Der Seitenrand ist ein Daumenkino! Das war doch mal ein Geschenk für das Kind in mir!