Lieblingsbücher/Und dann war da noch

Astrid Lindgren – Kalle Blomquist

Von den zahlreichen Lindgren-Büchern meinen absoluten Favoriten auszuwählen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Sie sind alle unvergesslich schön und zumindest die mir gehörenden habe ich unzählige Male gelesen, in meinen Sommerferien, und zwar laut: Die Texte sind perfekt zum Lautlesen, finde ich, weil sie eine große Poesie haben, mitunter auch sehr witzig sind, und einfach schön „klingen“. Ich könnte allerdings eine „Top 3“ erstellen, ohne Ranking, und das wären: „Märchen“, „Ferien auf Saltkrokan“ und „Kalle Blomquist“. Letzteres stellte ich sogar einmal in der 4. Klasse vor, als wir Astrid Lindgren zum Thema hatten.

Quelle: oetinger.de

Mit Kalle wurde ich bekannt, als mir mein Vater zu meinem 10. Geburtstag einen Sammelband schenkte, der alle erschienenen Geschichten vereinte: „Kalle Blomquist – Meisterdetektiv“, „Kalle Blomquist lebt gefährlich“ und „Kalle Blomquist, Eva-Lotta und Rasmus“. Die ersten zwei liebe ich abgöttisch, während ich mit der dritten nie richtig warm geworden bin und sie nur ein paar Mal gelesen habe. Vielleicht lag es daran, dass mir der kleine Rasmus auf die Nerven ging oder weil die Geschichte nicht im vertrauten Kleinköping spielt und es daher keinen „Krieg der Rosen“ gibt. Gerade den fand ich aber immer ganz besonders spannend, diese „unschuldigen Spiele der Kindheit“ von Kalle und seinen zwei besten Freunden Anders Bengtsson und Eva-Lotta Lisander (aka die „Weißen Rosen“) mit den Gleichaltrigen Sixten, Benka und Jonte (die „Roten Rosen“). Natürlich sollen die Geschichten in erster Linie Krimis sein, aber sie enthalten auch herrliche Beschreibungen von Sommerferien in einer Zeit ohne Fernsehen und Internet, als die Kinder den lieben langen Tag draußen herumliefen, sich von der Sonne braun brennen ließen und auf die verrücktesten Ideen kamen, um diese goldenen Wochen möglichst angenehm verstreichen zu lassen. Denn „Sommerferien sind so besorgniserregend, so unbarmherzig kurz, zum Weinen kurz“ und kein Tag soll ungenutzt bleiben. Nur dass Kalle sich nebenbei eben auch noch seinem liebsten Hobby bzw. angestrebten Beruf widmet, der Kriminalistik, und daher stets ein Auge auf verdächtige Personen oder Vorkommnisse hat. In seinem Kopf wimmelt es nur so von Mördern und Dieben aus fiktiven Fällen:

„Blut! Daran gab’s keinen Zweifel!“
Er starrte durch das Vergrößerungsglas auf den roten Fleck. Dann schob er die Pfeife in den anderen Mundwinkel und seufzte. Natürlich war es Blut. Was sollte denn auch sonst kommen, wenn man sich in den Daumen geschnitten hatte? (1. Kapitel von „Kalle Blomquist – Meisterdetektiv“)

Anders und Eva-Lotta nehmen ihn nicht ernst und betrachten seine Detektivideen als Spinnereien – bis eines Tages in diesem scheinbar so friedlichen Städtchen doch etwas passiert: Eva-Lottas Mutter bekommt Besuch von ihrem Cousin, der sich den Kindern als „Onkel Einar“ vorstellt und den Kalle bei näherer Betrachtung als eine „mystische Person“ identifiziert.

Kalle konnte einfach nicht schlafen, wenn Mücken im Zimmer waren. Jetzt hatte ihn wieder so ein Vieh geweckt. »Biest«, murmelte er. Er kratzte sich am Kinn, wo die Mücke ihn gestochen hatte. Dann sah er auf die Uhr. Gleich eins. Eine Zeit, wo alle anständigen Menschen schlafen sollten. »Dabei fällt mir ein«, dachte er, »ob der Katzenquäler schon schläft?« Er tappte zum Fenster und schaute hinaus. Im Giebelzimmer war Licht. »Wenn er etwas mehr schlafen würde, wäre er vielleicht nicht so unruhig«, dachte Kalle. »Und wenn er nicht so unruhig wäre, würde er vielleicht etwas mehr schlafen.«

Es war, als ob Onkel Einar ihn gehört hätte, denn in diesem Augenblick ging das Licht im Giebelzimmer aus. Kalle wollte gerade wieder ins Bett kriechen, als plötzlich etwas eintrat, was ihn die Augen aufsperren ließ. Onkel Einar schaute vorsichtig aus dem offenen Fenster, und als er sich davon überzeugt hatte, dass niemand in der Nähe war, kletterte er auf die Feuerleiter hinaus und stand nach wenigen Augenblicken unter auf der Erde. Er hielt etwas unter dem einen Arm. […]

Der Geräteschuppen! Warum war Onkel Einar dahin gegangen? Himmel, wenn er nun ein Werkzeug nehmen wollte, um damit Leute totzuschlagen! Kalle war sehr geneigt, Onkel Einar als den Mörder zu betrachten, den er so lange gesucht hatte, einen Mr. Hyde, der auf Schandtaten ausging, sobald die Dunkelheit sich über die Stadt gesenkt hatte. Die Tür zum Geräteschuppen war angelehnt. Aber Onkel Einar war verschwunden. Kalle schaute sich unschlüssig nach allen Seiten um. Da! Ein Stück weiter weg sah er eine dunkle Gestalt, die sich schnell entfernte. Aber dann bog die Gestalt um eine Straßenecke und war außer Sichtweite.

Nun kam Bewegung in Kalle. Er galoppierte in derselben Richtung los. Hier hieß es sich beeilen, wenn er ein schreckliches Verbrechen verhindern wollte! Während er rannte, fiel ihm plötzlich ein: Was konnte er eigentlich machen? Was wollte er zu Onkel Einar sagen, wenn er ihn eingeholt hatte? Oder – wenn nun er, Kalle, es war, der für Onkel Einars Missetat ausersehen war? […]

Übrigens – wo war Onkel Einar? Kalle konnte ihn nirgends entdecken. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Na, da brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Aber es ärgerte ihn furchtbar, dass er die Spur verloren hatte. Selbst wenn er sich nicht auf einen offenen Kampf mit Onkel Einar einlassen wollte, so gehörte es natürlich zu seinen Pflichten als Detektiv, ihm nachzugehen und zu erkunden, was er vorhatte. […]

Kalle machte sich missmutig auf den Heimweg. An einer Straßenecke stand Wachtmeister Björk. »Was treibst du denn hier draußen mitten in der Nacht?« fragte er.»Haben Sie einen Mann vorbeigehen sehen, Onkel Björk?« unterbrach Kalle ihn eifrig. »Einen Mann? Nein, hier war außer dir kein Mensch zu sehen. Geh schleunigst nach Hause und ins Bett. Das würde ich auch tun, wenn ich dürfte!«

Kalle ging. Kein Mann war zu sehen gewesen! Nein, man wusste ja, wie viel die Polizei sah! Eine ganze Fußballmannschaft konnte vorbeikommen, ohne dass sie es merkten! Obwohl Kalle bei Wachtmeister Björk ja gern eine Ausnahme machen wollte. Er war sicher besser als andere Polizisten. Aber – »geh nach Hause und ins Bett« hatte er gesagt! Ja, das wäre gerade das richtige! Der einzige, der wirklich die Augen offen hatte, wurde öffentlich von der Polizei ermahnt, ins Bett zu gehen! Kein Wunder, dass es so viele unaufgeklärte Verbrechen gab! Aber es schien tatsächlich nichts anderes übrig zu bleiben, als nach Hause und ins Bett zu gehen. Und das tat Kalle dann auch.

Sein Anfangsverdacht erhärtet sich mit der Zeit immer mehr und mit einigem Kombinationsvermögen und Glück (so belauscht er z. B. versteckt in einem Ahornbaum ein Gespräch zwischen Einar und seinen Komplizen) kommt er den Tätern eines Juwelenraubs in Stockholm auf die Schliche. Dabei geraten er und seine Freunde sogar noch in Lebensgefahr, als sie in einen verlassenen Keller eingesperrt werden, doch am Ende wird alles gut und nach einer wilden Verfolgungsjagd werden die Täter dingfest gemacht. Kalle wird dann folgerichtig in einer Zeitung als „Meisterdetektiv“ bezeichnet, er hat sein Können hinreichend bewiesen und Anders und Eva-Lotta lachen eine Weile weniger über seine Ambitionen.

Das hält ungefähr ein Jahr an, doch im darauffolgenden Sommer scheinen die Ereignisse des Vorjahres schon wieder weit weg zu sein und selbst Kalle muss sich eingestehen, dass ein solcher Kriminalfall in Kleinköping wohl nur alle paar Jubeljahre mal vorkommt. Daher widmet er sich am Anfang von „Kalle Blomquist lebt gefährlich“ mit großem Eifer dem wieder aufflammenden Krieg der Rosen. Ein Streitgegenstand dabei ist der sogenannte „Großmummrich“, ein merkwürdig geformter Stein und angebliches Heiligtum der Weißen Rose. Doch gerade der führt indirekt dazu, dass Eva-Lotta Zeugin eines Mordfalls wird. Opfer ist der alte Gren, ein stadtbekannter Geldverleiher und Wucherer, der anscheinend Streit mit einem seiner Klienten hatte. Das Mädchen wird am Tag nach Auffinden der Leiche vom ermittelnden Kriminalkommissar verhört, wobei sich herausstellt, dass sie den Mörder bereits zuvor einmal gesehen hatte, zumindest teilweise.

»Also«, sagte er, »die Hosen des Mörders sahen unter einem Rollo hervor. Wessen Rollo?« »Natürlich Grens.«

»Und du? Wo warst du?« »Ich war draußen auf der Leiter. Kalle und ich waren dort. Am Montagabend nach neun Uhr.«

Der Kommissar hatte keine Kinder, und in diesem Augenblick war er froh und dankbar dafür. »Was in aller Welt habt ihr am Montagabend auf Grens Leiter gemacht?« fragte er, und da ihm seine neue Weisheit einfiel, fügte er hinzu: »Ach so, ich verstehe. Es war natürlich wieder irgend so ein Großmummrich, hinter dem ihr her wart.« Eva-Lotta sah ihn fast verächtlich an: »Herr Kommissar, Sie glauben wohl, Großmummriche wachsen auf den Bäumen. Es gibt nur einen Großmummrich – in Ewigkeit – Amen.«

Kalle ist erschrocken, dass ein Verbrechen, das es sonst nur in seiner Fantasie gab, plötzlich ganz real in sein Leben einbricht, und zum ersten Mal zweifelt er an seinem Traumberuf. Zumal mit dem Mörder ganz offensichtlich nicht zu spaßen ist, denn er schickt Eva-Lotta, deren Zeugenaussagen von allen Zeitungen publik gemacht wurden, vergiftete Schokolade (die unter glücklichen Umständen, und auch durch Mithilfe des Großmummrichs, von einem Hund statt von dem Mädchen verzehrt wird) und droht in einem dramatischen Finale den drei Kindern, die er zufällig in der Nähe des Tatorts wiedertrifft, mit einer Waffe. Doch auch das geht noch einmal glimpflich aus, dank Kalles Geistesgegenwart und einer sehr nützlichen Geheimsprache, die die Weißen untereinander haben.

Da Kalle scheinbar die Gabe hat, über Verbrecher zu stolpern „wie andere über Baumwurzeln“, wird er im dritten und letzten Band „Kalle Blomquist, Eva-Lotta und Rasmus“ sogar in eine Entführung verwickelt. Nach einem nächtlichen Kampf zwischen den Rosen sehen die Weißen zufällig, wie ein Professor und sein Sohn aus ihrem Haus in ein Auto gezerrt werden und nehmen kurzentschlossen die Verfolgung auf –  Eva-Lotta lässt sich dabei sogar freiwillig „mitentführen“, um den Jungs den Weg zu weisen und den kleinen Rasmus zu beruhigen. Die Täter wollen die Formel für die Herstellung eines unzerstörbaren Leichtmetalls, das der Professor entwickelt hat (wir befinden uns in der Frühzeit des Kalten Kriegs). Kalle und Anders tun ihr Bestes, um die Geiseln aus ihrem Gefängnis in einem Haus auf einer kleinen Insel zu befreien und mit ihnen zu fliehen, aber seltsamerweise versuchen sie bis fast zum Schluss nicht, Erwachsene oder gar die Polizei um Hilfe zu bitten. Trotzdem kommen sie schließlich wieder glücklich nach Hause, wo Rasmus sogar ein Mitglied der Weißen Rose wird, obwohl er ja wirklich noch ziemlich klein ist und einigermaßen unorthodox auf dem „Kriegspfad“ vorgeht.

Wie erwähnt mochte ich den letzten Band am wenigsten, der Inhalt ist wirklich heftig und es fehlt das spielerische Element, was man sonst in den zwei anderen Geschichten findet. In „Kalle Blomquist – Meisterdetektiv“ präsentieren Kalle, Eva-Lotta und Anders zum Beispiel ein Zirkusprogramm (sie nennen ihren Zirkus „Kalottan“), für das sie eifrig proben, und dann gibt es natürlich die üblichen Scharmützel mit den Roten, die sich in „Kalle Blomquist lebt gefährlich “ noch intensivieren. Da werden Gefangene gemacht und verhört, Glühlampen zerschossen, sie liefern sich Verfolgungsrennen durch die abendliche Stadt und steigen zur Not auch mal nachts in ein Haus ein, alles des Großmummrichs wegen. Aber die „Weißen Rosen“ und „Roten Rosen“ sind keine Banden, die einander feind sind, sondern alles ist ein Spiel, um etwas Abenteuer ins Ferienleben zu bringen, denn ihre Eltern sind einfache Leute (Eva-Lottas Vater ist Bäcker, Kalles Vater Lebensmittelhändler, Anders‘ Vater Schuhmacher), die ihren Kindern keinen Urlaub bieten können. Sie sind mehr oder weniger sich selbst überlassen und lieben diese Freiheit. Auf den Leser überträgt sich dieses Gefühl von großen Ferien unwillkürlich, wie die Kinder läuft man mit nackten Füßen über die warmen Pflastersteine, sieht die „Prärie“ genannte Gemeindewiese in der flirrenden Hitze vertrocknet daliegen und spürt den rauschenden Regen eines Sommergewitters.

Etwas von der Hitze des Julitages hing noch zwischen den Häuserreihen. Es war warm, ganz Rowdyberg ruhte in einer warmen, weichen Dunkelheit. Ab und zu wurde sie vom Licht eines kleinen Fensters erleuchtet oder von einer Tür, die an diesem Sommerabend offen stand. Und die Dunkelheit war voller Düfte: Der Geruch nach Katzen, gebratenem Hering und Kaffee mischte sich mit dem betäubenden Duft von blühendem Jasmin und genauso betäubenden Düften von einer Mülltonne, die schon vor langer Zeit hätte geleert werden müssen. Es war ganz still. Die Gassen lagen verlassen da. Die Bewohner des Rowdyberges führten kein Nachtleben außer Haus. Sie hatten sich in ihre eigenen vier Wände zurückgezogen und genossen die Geborgenheit und Erholung nach der Arbeit des Tages in ihren erbärmlichen Küchen, wo der Kaffeetopf auf der Herdplatte brodelte und die Pelargonien auf den Fensterbänken blühten. […] Nur hin und wieder hörte man Stimmengemurmel hinter einem der erleuchteten Fenster. In der Ferne bellte ein Hund, doch er verstummte bald. Irgendwo war jemand, der spielte zögernd eine kleine Melodie auf der Ziehharmonika, aber es war nur ein Versuch und danach war die Stille noch tiefer als zuvor.

Gleichzeitig merkt man, dass das Beschriebene nicht in der heutigen Zeit stattfinden kann: Welcher 13-, 14-jährige würde denn jetzt noch so kindgleich umhertollen? Damals scheint die Pubertät später eingesetzt zu haben … Die Kriminalfälle wirken stets glaubhaft und Astrid Lindgren beschreibt sie ohne Schwarz-Weiß-Malerei. Sie versucht sich sogar an einer psychologischen Studie des Täters:

Es gibt noch jemanden, der nie vergisst. Das ist der Mörder. Er erinnert sich daran, was er getan hat. Er erinnert sich daran, wenn er abends zu Bett geht und wenn er morgens aufsteht und während all der vielen Stunden dazwischen. Er erinnert sich jeden Augenblick, Tag und Nacht und die Erinnerung verfolgt ihn in seinen unruhigen Schlaf.

Und er hat Angst. Er hat Angst, wenn er abends zu Bett geht und wenn er morgens aufsteht und während all der vielen Stunden dazwischen. Er hat jeden Augenblick Angst, Tag und Nacht, und der Schrecken vergiftet seinen Schlaf. Er weiß, dass es eine gibt, die hat sein Gesicht in einem Augenblick gesehen, als sie ihn nicht hätte sehen dürfen. Vor ihr hat er Angst. Er versucht, sein Aussehen soweit wie möglich zu ändern. Er rasiert seinen Schnurrbart ab und schneidet sich die Haare zu einer aufrechtstehenden Bürste ab. […] Er hatte ein Spiel mit hohem Einsatz gespielt und er musste es zu Ende spielen. Wenn er entdeckt wird, ist alles vorbei. Dann wird seine Tat, die in seinen verblendeten Augen unvermeidlich war, das Dümmste und Kopfloseste, was er jemals getan hat. Nicht ein einziges Mal denkt er daran, dass ein Mensch für alle Zeit fort ist. Dass ein alter Mann seinetwegen diesen Sommer nicht in den Herbst übergehen sehen darf. Er denkt nur an sich selbst. Er will um jeden Preis durchkommen. Aber er hat Angst. Und niemals ist ein Mensch so gefährlich, wie wenn er Angst hat.

Noch ein Wort zu meiner Ausgabe: Sie ist von 1996 und enthält eine leicht überarbeitete Übersetzung. So hieß Eva-Lotta z. B. in der ersten Übersetzung „Eva-Lotte“ und Sixten „Sixtus“, Wachtmeister Björk war „Schutzmann Björk“, der Stadtstrolch Frederick mit dem Fuß „Friedrich mit dem Fuß“ und er wohnt auf dem „Rackerberg“ statt auf dem „Rowdyberg“ – kurz, der Text wurde später leicht modernisiert (Sixten nennt Anders jetzt einen „Weiberheld“ statt einen „Poussierstengel“) und einige eingedeutschte Namen oder Begriffe („Brötchen“ statt „Zimtwecke“) erhielten wieder ihre Originalform. Das mag Geschmackssache sein, wer mit der alten Ausgabe groß geworden ist, mag eine Neuübersetzung überflüssig finden. Ich liebe den Text jedenfalls so, wie ich ihn kennengelernt habe. Die Geschichten eignen sich ob ihrer manchmal etwas unheimlichen Szenen für Leser ab 10 und sind spannend, ohne reißerisch zu wirken. Sie haben den behutsamen, leichten Stil Astrid Lindgrens, die mit Kalle Blomquist eine Art Don Quixote entwirft, der durch zu viel Krimilektüre an jeder Ecke einen Verbrecher wähnt, bis er wirklich mit welchen in Kontakt kommt und das zwar aufregend, aber auch beängstigend findet. Er ist kein Feigling, sondern behält auch in brenzligen Fällen einen klaren Kopf und hinter dem Möchtegerndetektiv, der vor seinem eingebildeten Zuhörer mit dem Aufklären fiktiver Fälle prahlt, verbirgt sich „ein sehr praktischer und vernünftiger junger Mann“. Anders dagegen ist ein impulsiver, draufgängerischer Typ und darum Chef der Weißen Rosen, während Eva-Lotta ein wenig weibliche Intuition und List beisteuert, aber ansonsten genau so wagemutig und selbstbewusst wie die Jungs ist (nicht umsonst fällt Kalle als Lösung für „weiblicher Krieger“ in einem Kreuzworträtsel ihr Name ein). Sie ist ein typisches starkes Mädchen, wie es bei Lindgren öfter vorkommt.

Man merkt, wie sehr man ein Buch liebt, wenn man stundenlang darüber schreiben könnte. Aber genug: Wer Kalle kennt, wird sich mit großer Wärme an ihn zurückerinnern, und wer ihn nicht kennt, hat hoffentlich gemerkt, was für ein feines, zeitloses Jugendbuch ihm da entgangen ist, so viel mehr als nur ein Kinderkrimi.

»Ja«, sagte der weiße Chef und schlug sich dramatisch an die Brust. »Jetzt herrscht Kampf zwischen der Weißen und der Roten Rose, und tausend und abertausend Seelen werden in den Tod gehen – hinein in die Nacht des Todes!«

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