Ein Monat - ein Buch

September 2009: Steve Tesich – Ein letzter Sommer

Der Titel und Inhalt dieses Buchs passte recht gut zu meinem Sommer 2009: Mein Leben stand damals durch das bevorstehende Auslandssemester vor einem Umbruch, die Zeit in England stellte einen Entwicklungsschritt dar, nachdem ich nicht mehr dieselbe war. „Ein letzter Sommer“ war das letzte Buch, das ich vor meiner Abreise las, und der letzte Satz darin hätte nicht treffender sein können:

„Und so ging ich in die Welt hinaus.“

Der Roman wird von Daniel Price erzählt, einem 18-Jährigen Jugendlichen, der gerade seinen Highschool-Abschluss gemacht hat und sich jetzt im Laufe des Sommers entscheiden muss, was er mit seinem Leben anfangen will. Wir schreiben das Jahr 1960 und selbst im trostlosen East Chicago macht sich eine Atmosphäre der Rebellion breit: Soll man den gleichen Weg wie die Eltern einschlagen oder aus der Industriestadt ausbrechen? Erwartungen enttäuschen, wie Danny am Anfang der Geschichte bei einem absichtlich verlorenen Ringkampf, oder sich konform geben? Natürlich sind da jede Menge Fragen und Neugier in ihm und seinen zwei besten Freunden Billy und Larry, die ganz klassisch zwischen Kindheit und Erwachsenenalter stehen.

Wir alle drei, denke ich, hatten das Gefühl, die nächsten Jobs, die wir fanden, würden für den Rest unseres Lebens unser Beruf bleiben. Das machte uns ängstlich und unentschlossen. Wenigstens brauchten wir für den Augenblick kein Geld. Wir hatten unsere bescheidenen Ersparnisse. Wir hatten weder Mädchen, noch Autos, und so war selbst das wenige, was wir hatten, mehr als genug. Früher waren wir ins Kino gegangen, aber das Herannahen des Sommers machte uns irgendwie zu unruhig, um ganze Filme auszusitzen, also gingen wir einfach nicht mehr hin. Wir warteten darauf, dass eine Veränderung mit uns vorging. Mit allen anderen ging nach dem Schulabschluss eine Veränderung vor sich. Mit uns bestimmt auch bald.

Ihre Wege beginnen sich zu trennen, als sie jeder allmählich zu einer Entscheidung kommen: Billy wählt einen sicheren Job und die Bequemlichkeit, während Larry gegen seinen spießigen Eltern aufbegehrt und schließlich bei Nacht und Nebel verschwindet. Daniel schließlich lernt Rachel kennen, die erst vor kurzem mit ihrem Vater in seine Gegend gezogen ist, und in die er sich heftig verliebt. Gleichzeitig muss er mit der Krebserkrankung seines zynischen Vaters klarkommen, der sein Leben als gescheitert betrachtet und den Sohn mit aller Macht in seinen eigenen Sumpf des Unglücks ziehen will. Besonders für Frauen hat er kein gutes Wort übrig, hat ihn doch seine eigene betrogen, wenn auch nur mit einem Blick. Daniels schöne Mutter stammt aus Montenegro, was sie zu einer exotischen Figur macht, doch sie passt nicht wirklich nach East Chicago und in diesem Sommer verschärft sich der schwelende Konflikt zwischen den Eltern. Und vielleicht wäre es ganz ratsam, sich Rachel mit Vorsicht zu nähern, gibt sie sich doch sehr rätselhaft, schwankt zwischen Nähe und Abwehr und scheint ein Geheimnis zu hüten. Doch macht sie das nur noch faszinierender und anziehender für Daniel, für den diese Liebe sein ganzes Leben verändert, ebenso wie der Todeskampf seines Vaters.

Quelle: amazon.de

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Es ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte und doch so viel mehr als das. Dem serbo-amerikanischen Autor Steve Tesich, der 1979 einen Oscar für das Drehbuch zu „Breaking Away“ erhielt und 1996 viel zu früh verstarb („Ein letzter Sommer“ erschien im Original 1982, kam jedoch in Deutschland erst 2005 heraus), gelingt es meisterhaft, dem Leser die Spannungen und Kämpfe dieses komplizierten Alters vor Augen zu führen, wenn alles in der Schwebe ist, wenn man begierig darauf ist, Erfahrungen zu sammeln – Daniel schreibt Tagebucheinträge für die Menschen um ihn herum, als wären seine eigenen Erlebnisse nicht interessant genug –, weil man nicht weiß, dass diese immer auch mit Schmerz verbunden sind. Die Sehnsucht von Danny nach Rachel, die ihm am Ende enttäuschen wird und deren Lebensumstände ganz anders sind als er es zunächst glaubt; seine Abneigung gegenüber dem Vater, den die Krankheit nicht nur körperlich, sondern auch psychisch verändert und noch mehr zum Tyrannen werden lässt; schließlich sein Zaudern vor der Zukunft – all dies schildert Tesich ohne Pathos oder Schwulst, sondern mit viel Humor und Glaubhaftigkeit. Jeder, der einmal jung gewesen ist und an diesem Punkt stand, wo alles möglich, aber nichts sicher ist, kann sich ein Stück weit mit Daniel und seinen Freunden identifizieren. Ein ganz besonderes Buch über die Qualen der ersten Liebe und über das Abschiednehmen, das doch nie ein Ende ist. Wie ich damals nach der Lektüre erfahren sollte.

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