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Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray

Im Winter 2007 wurde ich durch die Lektüre von Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“ plötzlich vom „L’art pour l’art“-Fieber gepackt. Das Konzept der „Kunst um der Kunst willen“ schien mir völlig logisch – Kunst sollte keinen anderen „Nutzen“ haben, als den Betrachter durch ihre Schönheit zu berauschen, denn wie ich des Öfteren feststellte, tut es der Seele gut, etwas wirklich Schönes zu sehen, sei es ein Mensch, ein Sonnenuntergang oder ein Gemälde von Raffael oder Botticelli. Da wir von unserem Französischlehrer dazu angehalten wurden, kleine Essays zu schreiben, um unsere Sprachfähigkeiten zu verbessern und ihm eine Möglichkeit zur Benotung zu geben, setzte ich mich prompt mit diesem Thema in schriftlicher Form auseinander. Ich war einfach hin und weg von der bohemienhaften Dekadenz, die diese Bewegung umgab, und die sich in „Dorian Gray“ manifestiert, vor allem in seinem Vorwort:

The artist is the creator of beautiful things. To reveal art and conceal the artist is art’s aim. The critic is he who can translate into another manner or a new material his impression of beautiful things. […]

Those who find beautiful meanings in beautiful things are the cultivated. For these there is hope. They are the elect to whom beautiful things mean only beauty.

There is no such thing as a moral or an immoral book. Books are well written, or badly written. That is all. […]

We can forgive a man for making a useful thing as long as he does not admire it. The only excuse for making a useless thing is that one admires it intensely.

All art is quite useless.

Ich verliebte mich unsterblich in Wildes Stil, in seine geistreichen Epigramme, seine gewitzte Ironie, seine ästhetische Weltanschauung, mit der ich mich unbedingt identifizieren konnte. Dabei übersieht man leicht, dass „Das Bildnis des Dorian Gray“ zwar auch eine Hymne an Schönheit, ewige Jugend und Dekadenz ist, sie am Ende jedoch als hohl und verbrecherisch entlarvt.

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Quelle: http://1001geschichte.blogspot.co.uk

Dieses Buchcover zeigt Franz Liszt … wahrscheinlich ohne Hintergedanken, nur als Beispiel für einen schönen jungen Mann

 Lord Henry Wotton, den Wilde quasi als Sprachrohr seiner eigenen Ansichten gestaltet, trifft im Atelier des Malers Basil Hallward auf dessen Muse, den jungen Adonis Dorian Gray, und ist sofort von ihm eingenommen – die homoerotische Anziehung zwischen den zwei Männern (der jüngere mit engelsgleicher Anmut und Neugier, der ältere mit Geist, Geschmack und Weltgewandtheit gesegnet) ist unübersehbar. Dorian ist noch gänzlich unverdorben und sich seiner Attraktivität nicht bewusst; Lord Henry öffnet ihm dafür die Augen und verdeutlicht ihm außerdem, welch Verlust das Ende der Jugend ist. Dadurch weckt er nicht nur Dorians Narzissmus, sondern auch den Wunsch, niemals zu altern:

»Wie traurig ist das!« sagte Dorian Gray leise und wandte die Augen nicht von seinem eigenen Bildnis. »Wie traurig ist das! Ich werde alt und gräßlich und widerwärtig werden, aber dieses Bild wird immer jung bleiben. Es wird nie älter sein als dieser Junitag heute. . . Wenn es nur umgekehrt wäre! Wenn ich immer jung bleiben könnte und dafür das Bild immer älter würde! Dafür – dafür – dafür gäbe ich alles! Ja, es gibt nichts in der ganzen Welt, was ich nicht dafür gäbe! Ich gäbe meine Seele dafür!«

Er verliebt sich wenig später scheinbar unsterblich in die junge Schauspielerin Sybil Vane, die durch seine Liebe zum ersten Mal erkennt, wie verlogen die ganze Theaterwelt ist, deren Emotionen sie bisher für echt hielt. Doch ihre Erkenntnis verdirbt ihre Schauspielkunst, was wiederum Dorians Liebe zu ihr abrupt enden lässt. Dass er ihr damit das Herz bricht, wird ihm erst völlig bewusst, als am nächsten Morgen sein Blick auf das Selbstporträt in seinem Zimmer fällt – der gemalte Mund hat einen grausamen Zug enthalten. Sein Wunsch ist wahr geworden: Statt in seinem Gesicht zeichnen sich alle seine Sünden nun auf dem Gemälde ab. Doch die logische Folge ist nicht nur, dass sich Dorian sämtlichen Ausschweifungen hingeben kann, ohne dass man es seinem Äußeren jemals ansehen würde – er bleibt immer der engelsgleiche Jüngling –, sondern auch, dass kein Mensch jemals wieder das Porträt erblicken darf, das immer hässlichere Züge annimmt und das er auf seinem Dachboden versteckt. So vergehen einige Jahre, in denen sich allmählich furchtbare Gerüchte um Dorian verbreiten, ohne dass ihm etwas nachgewiesen werden könnte. Als eines Abends Basil Hallward zu ihm kommt, um ihn damit zu konfrontieren, überkommt den jungen Mann plötzlich ein wildes Verlangen, dem alten Freund seine Seele bloßzulegen – er führt ihn zu dem Porträt:

Ein Ausruf des Entsetzens kam von den Lippen des Malers, als er in der schlechten Beleuchtung das häßliche Gesicht auf der Leinwand sah, das ihn angrinste. Es lag etwas in dem Ausdruck, das ihn mit Widerwillen und Ekel erfüllte. Großer Gott! es war Dorian Grays eigenes Gesicht, auf das er blickte! Das Gräßliche, was es auch war, hatte die wunderbare Schönheit noch nicht ganz zerstört. Noch war etwas Gold in dem dünnen Haar und etwas Rot auf dem sinnlichen Mund. Die stumpfen Augen hatten etwas von ihrem lieblichen Blau bewahrt, die edeln, geschwungenen Linien um die feingebauten Nüstern und der plastische Hals waren noch nicht ganz geschwunden.

Doch diese Art der Beichte weckt in Dorian auch großen Hass auf den Schöpfer des Bilds, dem er die Schuld an allem gibt und der jetzt um sein Geheimnis weiß – kurzerhand ersticht er ihn mit einem Messer. Und erpresst einen Chemiker, den er einst auf Abwege geführt hat, ihm bei der Beseitigung der Leiche zu helfen. Seine Schuldgefühle unterdrückt er mit Opium und glaubt, dass nichts und niemand ihm etwas anhaben könnte. Aber seine Nemesis ist ihm bereits auf den Fersen und irgendwann holt ihn die Vergangenheit ein …

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Quelle: cinema.de

Helmut Berger als Dorian in der Verfilmung von 1970

Wie alle Werke von Oscar Wilde ist auch „Dorian Gray“ randvoll mit brillanten Zitaten; wie ich einmal in einem Vortrag zum Autor bemerkte, sollte man bei der Lektüre stets einen Bleistift zur Hand haben, um Passagen zu unterstreichen oder abzuschreiben. Doch steckt so viel mehr in diesem, seinem einzigen Roman als nur zitierwürdige Sätze wie „Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben.“ oder „Kinder fangen damit an, ihre Eltern zu lieben; wenn sie älter werden, halten sie Gericht über sie; manchmal verzeihen sie ihnen.“ oder „Männer heiraten, weil sie müde sind; Frauen, weil sie neugierig sind: beide werden enttäuscht.“ oder …

Der geradezu faustische Pakt, den Dorian schließt – mit wem, weiß er selbst nicht – verführt ihn dazu, die Inspirationen aus einem hochgradig dekadenten Buch, das ihm Lord Henry schenkt (der Titel wird nicht genannt, doch wird meist Joris-Karl Huysmans‘ „À rebours“ als Wildes Vorbild dafür angenommen) in die Tat umzusetzen, mit fatalen Folgen. Wilde zeigt uns, dass es zwar nicht schadet, ein Ästhet und Hedonist zu sein, doch wenn diese den Weg zu einer Verachtung von Mitgefühl und Moral ebnen, wird es gefährlich. Ebenso gilt die Binsenweisheit, dass ein übergroßer Narzissmus noch niemandem gut getan hat, doch scheint er manchmal fast unausweichlich, wenn man wie Dorian den Einflüsterungen eines Verehrers erliegt. Sein Wunsch, den Grund dieser Verehrung nicht zu verlieren, ist nur allzu verständlich (und lässt sich heutzutage bei vielen ehemals sehr attraktiven Film- und Musikstars beobachten, die krampfhaft versuchen, auf künstliche Weise ihre Jugend zurückzuholen – das Altern muss für schöne Menschen noch schwerer sein als es ohnehin ist), entschuldigt seine Taten aber trotzdem nicht. Vielleicht ist das ein Grund für die Faszination, die dieses Buch ausübt: Es predigt besonders im ersten Teil Dekadenz und Hedonismus und lässt die Hauptfigur dann im zweiten Teil daran zugrunde gehen, nachdem sie sich als skrupelloser Mörder und rundheraus gesagt als A*loch erwiesen hat.

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Quelle: lettersofnote.com

Oscar und „Bosie“ Alfred Douglas

Fast könnte man glauben, Wilde hätte als Vorbilder für Dorian and Lord Henry seinen Liebhaber Lord Alfred Douglas und sich selbst genommen – nur schrieb er den Roman bereits 1890, ein Jahr bevor er mit „Bosie“ bekannt wurde. So sollte er einmal mehr recht behalten mit seinem Zitat „Life imitates Art far more than Art imitates Life.“ Die Kunst als Spiegel des Lebens – in „Das Bildnis des Dorian Gray“ wird dies auf geradezu unheimliche Weise real. Die Vorwürfe zum Erscheinungszeitpunkt des Romans, es sei unmoralisch, hatte Wilde ohnehin ad absurdum geführt – und außerdem kann man, wie er in seinem Vorwort feststellte, ein Buch nicht „moralisch“ oder „unmoralisch“ nennen. Ein Buch voller Belehrungen und einwandfrei handelnder Charaktere kann uns abgrundtief langweilen und ist dadurch wertlos. Besser, man verführt den Leser auf so wunderbar subtile Weise wie er es tut … und schafft damit ein unvergessliches Werk, das am Ende so viel mehr bewirkt und das man lieben muss, ein Leben lang.

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