Auf dieses Buch wurde ich zuerst durch die Verfilmung von 1998 aufmerksam. Ich erinnere mich noch gut, wie mir eine Schulfreundin in der Pause erzählte, dass ihre Eltern diesen Film im Kino sehen wollten und filminteressiert, wie ich damals schon war, wusste ich, dass Robert Redford mitspielte. Was ich damals nicht wusste, war, dass „Der Pferdeflüsterer“ der Karrierestart für eine gewisse Scarlett Johansson sein sollte, die darin die junge Grace spielt. Als ich den Film später anschaute, kam mir das Gesicht des Mädchens so seltsam bekannt vor … Im Übrigen war ich vom Ende enttäuscht, das ist nämlich etwas anders als im Buch, deutlich weniger romantisch und dramatisch in meinen Augen, wenn auch eventuell etwas realistischer.

Quelle: booklooker.de
Das Geschehen nimmt seinen Lauf an einem Wintermorgen, als die 13-jährige Grace, eine begeisterte Reiterin, einen tragischen Unfall erleidet, bei dem ihr Pferd Pilgrim auf vereister Fläche den Halt verliert, einen Hang hinunterrutscht und mit einem Truck zusammenstößt. Grace und Pilgrim erleiden dabei nicht nur schwere Verletzungen, sie sind auch beide traumatisiert, was sich beim Hengst dahingehend äußert, dass es keinen Menschen mehr an sich heranlässt. Der einzige Ausweg scheint zu sein, ihn einzuschläfern. In ihrer Not wendet sich Graces Mutter Annie an den „Pferdeflüsterer“ Tom Booker, über den sie gelesen hat, dass er auch scheinbar nicht therapierbare Tiere heilen kann. Doch es nicht nur das Pferd, dass Hilfe benötigt: Grace leidet unter Pilgrims Verhalten, ihren Verletzungen und nicht zuletzt daran, dass ihre beste Freundin Judith, die ebenfalls mit ihrem Pferd in den Unfall verwickelt war, dabei getötet wurde. Währenddessen entfremden sich ihre Eltern immer mehr von einander: Annie ist eine dauergestresste Redakteurin, die nach mehreren Fehlgeburten vergeblich versucht, schwanger zu werden; ihr Mann Robert ist als Anwalt ebenfalls beruflich sehr eingespannt. Die Entscheidung, mit dem Pferd und der widerstrebenden Gracie die lange Fahrt nach Montana zu Booker (der ihre telefonische Anfrage zunächst ablehnt) zu unternehmen, ist eine tiefgreifende und folgenschwere. Das Leben auf der Ranch erweist sich für beide als eine hervorragende Therapie, sodass Mutter und Tochter allmählich wieder zusammenfinden und den Alltag in der Weite Montanas genießen, während es Booker gelingt, dass Pilgrim wieder menschlichen Kontakt zu lässt. Nur nicht Grace als Reiterin, dafür wiegt das Trauma des Unfalls zu schwer … Außerdem fühlt sich Annie unwillkürlich zu dem charismatischen Tom Booker hingezogen und setzt so eine schicksalshafte Verkettung von Ereignissen in Gang …
Seit jenem weit in die Steinzeit zurückliegenden Augenblick, als dem ersten Pferd ein Halfter angelegt wurde, gab es unter den Menschen einige wenige, die in die Seele der Tiere schauen konnten. Oft hielt man sie für Zauberer, vielleicht waren sie das auch. Und da sie Geheimnisvolles leise in die gespitzten Ohren flüsterten, nannte man sie die Pferdeflüsterer.
Nicholas Evans – nicht zu verwechseln mit Nicholas Sparks, der für Schmachtfetzen wie „Das Leuchten der Stille“ oder „Wie ein einziger Tag“ verantwortlich ist –, schaffte mit „Der Pferdeflüsterer“ einen Bestseller, der geschickt die Elemente „Tiere“, „Liebe“ und „Mutter-Tochter-Konflikt“ miteinander kombiniert. Er predigt das Leben im Einklang mit der Natur, was in unserer Zeit gut ankommt und das sicher auch tatsächlich eine Art Heilung bewirken kann, zumindest eine geistige. Der Roman funktioniert erstaunlich gut, er ist fesselnd und stimmungsvoll. Nur das Ende gerät dann ziemlich kitschig bzw. unnötig dramatisch, was mich aber beim Lesen damals nicht wirklich störte, höchstens verstörte, weil es so nicht abzusehen ist. SPOILER: Anders als im Film leben Tom und Annie ihre Gefühle aus, was ich weitaus besser fand als das etwas spröde Ende des Kinostreifens.
Annie dachte –und sie würde es auch später stets denken –, dass sie bei dem, was nun folgte, nie eine Wahl gehabt hatte. Manche Dinge geschehen einfach und können nicht anders geschehen. Sie bebte und würde auch später immer wieder erbeben, wenn sie sich – ohne eine Spur des Bedauerns – an diesen Augenblick zurückerinnerte. Nachdem er getrunken hatte, wandte er sich ihr zu und wollte sich einige Tropfen aus dem Gesicht wischen, als sie ihn berührte und es für ihn tat. Sie spürte die Kälte des Wassers auf ihrem Handrücken und hätte das vielleicht für eine Ablehnung gehalten und ihre Hand zurückgezogen, hätte sie nicht gleich darauf die beruhigende Wärme seiner Haut gefühlt. Und bei dieser Berührung stand die Erde still.
Das ist schon ziemlicher Hardcore-Kitsch, würden Zyniker sagen. Aber „Love is a force of nature“, wie es so passend bei „Brokeback Mountain“ heißt (kleine Abschweifung, doch dort geht es ja auch um Cowboys und die romanzenfördernde Freiheit in der weiten Natur) und ich fand die Liebesgeschichte innerhalb des Handlungsverlaufs einfach schön, auf jeden Fall interessanter als die Heilung von Pilgrim – ich war noch nie ein großer Pferdefan. Ob solche übrigens die „Unterwerfung“ des traumatisierten Hengstes durch den Pferdeflüsterer als geeignete Methode zu seiner Duldung von Grace auf seinem Rücken gutheißen, wage ich zu bezweifeln. Ansonsten gibt es nichts zu meckern an diesem Bestseller, der nun auch schon wieder 20 Jahre alt ist. Seitdem hat man wenig vom Autor gehört, seine nachfolgenden Bücher scheinen nur mäßigen Erfolg gehabt zu haben: Ein One-Hit-Wonder der Literatur, sozusagen.

Quelle: welt.de
Robert Redford und die junge Scarlett Johansson im Film