Ein Buch - mehrere Monate/Lieblingsbücher

Lieselotte Welskopf-Henrich – Die Söhne der Großen Bärin

Ein absoluter Klassiker der DDR-Literatur, ein Stück weit Ersatz für den im Osten verbotenen Karl May und ohnehin viel besser, da realistischer als dieser. Die gleichnamige Verfilmung begründete die Karriere von Gojko Mitic und war der erfolgreichste Defa-Film 1966 – seine Popularität ist auch an dem Lied „Tokei-Ihto“ von Frank Schöbel (auf einer LP für Kinder) ersichtlich. Die Bücher haben mich als Zwölfjährige wahnsinnig beeindruckt, zum ersten Mal legte ich ein Leselimit pro Tag fest, um nicht allzu schnell fertig zu sein, und abends in meinem Bett stellte ich mir vor, in einem Tipi der Bärenbande zu liegen.

Die Hauptfigur ist der Indianerjunge Harka (mit den Beinamen Steinhart Nachtauge Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärenjäger), der Sohn des Häuptlings Mattotaupa – das bedeutet Vier Bären, ganz nebenbei bekommt man einen Crashkurs in der Dakota-Sprache mit Wörtern wie Miniwaken (Zauberwasser), Minisosen (Missouri) und Tschetan (Falke). Mit seinem Stamm, der Bärenbande, der zu den Teton-Oglala gehört, lebt er am Fuß der Black Hills, einem Heiligtum der Dakota. Angeblich soll es dort Gold geben, zumindest suchen verstärkt Weiße danach. Harka erlebt verschiedene Abenteuer, so geht er zum ersten Mal auf Büffeljagd und erlegt gemeinsam mit seinem Vater einen Bären. Er findet in der Nähe des Lagers einen entflohenen Sklavenjungen, den er Schwarzhaut-Kraushaar nennt und der Teil der Bärenbande wird. Außerdem bekommen sie Besuch von einem Maler, den ersten Weißen, den Harka sieht. Wenig später taucht der Goldsucher Red Jim im Lager auf und versucht, etwas über das Gold der Black Hills herauszubekommen. Er macht einige Krieger und Mattotaupa selbst betrunken, was eine ungeheure Schande für einen Häuptling darstellt – doch nicht nur das, anscheinend hat dieser auch noch das Geheimnis des Golds verraten! So behauptet es zumindest der etwas zwielichtige und undurchsichtige Medizinmann Hawandschita. Harka glaubt an die Unschuld seines Vaters und begleitet ihn, als der Häuptling seines Amtes enthoben und aus dem Stamm ausgeschlossen wird. So kommen Vater und Sohn in die Welt der Weißen, leben sogar zeitweise mit Red Jim zusammen – den Mattotaupa für seinen Freund hält – und arbeiten im Zirkus. Später werden sie vom Stamm der Schwarzfuß-Indianer aufgenommen, wo sich Harka mit „Stark wie ein Hirsch“ anfreundet und schließlich in einem gefährlichen Ritual die Kriegerwürde erhält. Im dritten Band kehrt er zur Bärenbande zurück und wird unter dem Namen Tokei-Ihto zum Häuptling gewählt. Ihm steht eine schwere Aufgabe bevor: das Territorium und die Bärenbande vor den feindlichen Amerikanern verteidigen…

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Quelle: zvab.com

So sahen „meine“ Bücher aus; für knapp 30 Euro gebraucht zu haben

Die Bücher ziehen einen unwillkürlich in den Bann, denn sie zeichnen sich durch fundiertes und gut vermitteltes Hintergrundwissen aus, sodass man ganz in das Leben der Teton-Dakota in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert eintaucht. Der Auftritt historischer Persönlichkeiten wie Sitting Bull (Tatanka-Yotanka) oder Crazy Horse (Tashunka Witko) verleihen dem Ganzen Authentizität und auch die dargestellten Probleme und Konflikte sind realistisch. Man wird für die schwierige Lage der Indianer Nordamerikas mit ihrer schrittweisen Verdrängung und Vertreibung sensibilisiert und lernt eine Lebenswelt kennen, die es so nicht mehr gibt. In den drei (oder sechs, in manchen Ausgaben) Bänden kann die Autorin zudem ein breites Figurenensemble aufbauen und der Leser wird vertraut mit vielen Mitgliedern der Bärenbande; aber auch Weiße wie der Offizier Smith, der die Indianer bekämpft, und seine Tochter Cate, deren Verlobter Leutnant Roach, die Zwillinge Theo und Thomas oder der Bauer Adams treten in wichtigen Teilen der Handlung auf. Es gibt keine simple Schwarz-Weiß-Malerei, denn auch „schlechte“ Charaktere handeln nicht grundlos so: Mattotaupa etwa wird zwar unschuldig verbannt, kommt danach aber in schlechte Gesellschaft bzw. nicht mit den veränderten Lebensbedingungen (als Zirkusattraktion) klar und verfällt dem Alkohol, bevor er einen gewaltvollen Tod findet. Am Ende entpuppt er sich also doch als „Verräter“, was sein Sohn Harka bis dahin nicht wahrhaben wollte.

„Die Söhne der großen Bärin“ ist wirklich DAS prägende Buch meiner vorpubertären Phase, kein Winnetou oder Old Surehand konnte mir das geben, was ich bei Harka und Mattotaupa fand und ich wurde für die Dauer der Lektüre zu einem waschechten Teton-Oglala der Black Hills. Seitdem habe ich es nicht mehr gelesen, vielleicht würde es mich heute nur enttäuschen, denn wenn man einmal ein Buch so intensiv erlebt hat, kann es beim zweiten Mal kaum wieder so sein. Darum bleibt es für immer mit meinem zwölfjährigen Ich verbunden. „Tatanka reitet durch die Furt, tanze Hawandschita, tanze Hawandschita…“

2 Kommentare zu “Lieselotte Welskopf-Henrich – Die Söhne der Großen Bärin

  1. Meine Empfehlung: Lies es nochmal! Du wirst es nicht bereuen. Es war und ist weiterhin phantastisch! Ich lese es seit Jahrzehnten immer wieder mal und ich hoffe jedesmal von Neuem, dass es mit Mattotaupa ein gutes Ende nimmt. 🙂

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