Ein Monat - ein Buch

Juni 2013: Mark Haddon – The Curious Incident of the Dog in the Night-Time

Auf dieses Buch wurde ich zuerst durch das Theaterstück aufmerksam, das großen Erfolg im Londoner Westend feiert und mehrfach ausgezeichnet wurde. Ich sah ein Plakat davon und dachte: „Was für ein merkwürdiger Titel, welche Geschichte sich wohl dahinter verbirgt?“ Und so kam ich dann auf die Romanvorlage, die ebenfalls begeistert aufgenommen worden war, allerdings schon 2003. In Deutschland hatte ich nie davon gehört; da heißt es „Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone“, (also ganz anders als auf Englisch) Es ist eigentlich ein Jugendbuch, aber wie alle guten Jugendbücher auch für Erwachsene lesbar. Die Welt des Jungen, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird – Christopher Boone – mag auf den ersten Blick zwar „sonderbar“ erscheinen, aber sie macht die Lektüre zu einer witzigen und sehr originellen Angelegenheit: Christopher ist Autist, auch wenn dies nie explizit erwähnt wird, doch weisen die Beschreibung seines Alltags, seiner „Marotten“ und seiner Art der Verarbeitung von Informationen stark darauf hin. Zum Beispiel mag er nichts in den Farben braun oder gelb, und wenn er morgens im Schulbus vier gelbe Autos hintereinander sieht, bedeutet das „sehr schlechter Tag“ für ihn, er verkriecht sich dann in eine Ecke und mag nicht essen. Umgekehrt bedeuten vier rote Autos „superguter Tag“.  Sein Essen sollte möglichst ebenfalls in dieser Farbe sein und vor allem dürfen sich Nahrungsmittel verschiedener Farben auf dem Teller nicht berühren.

Quelle: en.wikipedia.org

Er ist ein Genie in Mathematik – weshalb er die Kapitel nicht auf gängige Weise nummeriert, sondern mit Primzahlen, also 2, 3, 5, 7, 11 etc. Sein Ziel ist es, die Matheprüfung auf Abiturniveau abzulegen und später Mathematik und Physik an der Uni zu studieren. Ansonsten fällt es ihm schwer, mit seiner Umwelt zu kommunizieren. Zu viele Informationen auf einmal überfordern ihn, weil er nichts ausblenden kann und sich an jedes Detail haargenau erinnert. Auch lügen kann er nicht und Metaphern oder bildhafte Vergleiche (wie „Are you pulling my leg?“) versteht er nicht, weil er alles wörtlich nimmt. Außerdem mag Christopher es überhaupt nicht, angefasst zu werden, selbst seine Eltern dürfen ihn nicht umarmen, nur ihre Handfläche an seine Handfläche legen. Vor Fremden hat er Angst, weil er sie nicht einschätzen kann und keine Gesichtsausdrücke zu interpretieren versteht. So entstehen immer wieder komische, mitunter auch unangenehme Situationen, wenn er notgedrungen mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen muss.

People say that you always have to tell the truth. But they do not mean this because you are not allowed to tell old people that they are old and you are not allowed to tell people if they smell funny or if a grown-up has made a fart. And you are not allowed to say, ‚I don’t like you,‘ unless that person has been horrible to you.

Wenn ihm alles zu viel wird, muss er sich ablenken oder gegensteuern, um sein Gehirn vor Überlastung zu schützen:

I rolled back onto the lawn and pressed my forehead to the ground again and made the noise that Father calls groaning. I make this noise when there is too much information coming into my head from the outside world. It is like when you are upset and you hold the radio against your ear and you tune it halfway between two stations so that all you get is white noise and then you turn the volume right up so that this is all can hear and then you know you are safe because you cannot hear anything else.

In der eigentlichen Handlung des Romans erzählt Christopher, wie er eines Nachts den Hund seiner Nachbarin findet, den jemand mit einer Mistgabel getötet hat. Der Junge mochte den Hund, deshalb ist er entschlossen, in Sherlock-Holmes-Manier den Täter zu finden, auch wenn er deshalb über seinen Schatten springen und andere Leute befragen muss. Sein Vater hält nichts von der Idee und will ihn mit aller Macht davon abhalten. Das hat seinen guten Grund, wie man im Laufe der Geschichte erfährt. Denn Christopher findet zwar den Hundemörder, aber vor allem kommt er etwas anderem, viel wichtigerem auf die Spur, was mit seiner Mutter zu tun hat, die zwei Jahre vor Handlungsbeginn gestorben ist – so erzählt es ihm zumindest sein Vater… Am Ende macht er eine Zugfahrt nach London (mit seiner Ratte Toby in der Tasche und von der Polizei verfolgt), die für Christopher eine unheimliche Herausforderung darstellt, doch gibt ihm dieses Abenteuer auch sehr viel Selbstvertrauen:

… I will get a First Class Honors degree and I will become a scientist… And I know I can do this because I went to London on my own, and because I solved the mystery of Who Killed Wellington? and I was brave and I wrote a book and that means I can do anything.

Ich las den Roman in meinen Mittagspausen am Fluss Cam und konnte mich manchmal kaum losreißen, so interessant und spannend ist er geschrieben. Ein sehr ungewöhnliches und absolut empfehlenswertes Buch, das uns die Welt aus einem neuen Blickwinkel zeigt. Vor allem gelingt es dem Autor, Christophers Verhalten und Denken absolut plausibel erscheinen zu lassen, für ihn sind die „normalen“ Leute die Komischen, Unverständlichen und nicht der Junge, der alles wie ein nüchterner Beobachter von außen sieht und uns davon berichtet. Sien eigenwilliger, gleichförmiger und schnörkelloser Erzählstil und die vielen ergänzenden Illustrationen machen das Buch zu einem ganz besonderen Vergnügen für den Kopf und für das Auge.

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