Lieblingsbücher/Und dann war da noch

Astrid Lindgren – Ferien auf Saltkrokan

Das allerschönste Sommer- und Ferienbuch, das es gibt. Denn es handelt genau davon, vom Urlaub auf einer schwedischen Insel und all den kleinen und großen Abenteuern, die man als Kind dort so erleben kann. Durch die vielen auftretenden Personen verschiedenen Alters ist aber für jeden Leser eine Figur dabei, mit der er sich identifizieren und aus deren Sichtweise er diese Sommer verleben kann.

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Quelle: nicolibri.de 
Rundliches Kind auf dem Bootsteg: Tjorven und Bootsmann

Mein Liebling ist Malin, Malin Melcherson, hübsch, mit blonden Haaren und grünen Augen, sanftmütig und klug. Als ältestes Kind der Familie (sie ist 19) hat sie die Mutterrolle übernommen, nachdem ihre wirkliche Mutter vor sechs Jahren bei der Geburt des jüngsten Sohns Pelle verstarb. Ihre zwei anderen Brüder sind Johann, 13, und Niklas, 12. Der Vater Melcher ist Schriftsteller und ein chaotischer, jungenhafter und sehr sympathischer Kerl. Am Anfang des Buches befindet sich die ganze Familie auf einem Schärendampfer, der sie von Stockholm nach Saltkrokan bringt, wo Melcher mal eben so ein Ferienhaus gemietet hat. Dieses Haus, „Schreinerhaus“ genannt, erweist sich bei ihrer Ankunft als nicht mehr ganz intakt – es regnet durchs Dach, die Fenster sind verzogen, einzelne Teile lose –, doch schließen sie es sofort in ihr Herz, ebenso die freundliche Nachbarsfamilie Grankvist.

„Guten Tag, Schreinerhaus“, sagte Papa. „Darf ich die Familie Melcherson vorstellen: Melcher und seine armen Kinderlein.“ Es war ein rotes Haus mit einem Oberstock, und als man es sah, zweifelte man nicht daran, dass es hier durchs Dach regnete. Mir gefiel es aber trotzdem. Mir gefiel es von Anfang an. Papa dagegen war jetzt ängstlich, das merkte man – ich kenne niemanden, dessen Stimmung so schnell umschlagen kann. Er blieb stehen und starrte miss-mutig das Ferienhaus an, das er für sich und seine Kinder gemietet hatte. „Worauf wartest du?“ fragte ich. „Es wird nicht anders.“ Darauf nahm er allen Mut zusammen, und wir traten ein.

Die Jungs schließen Freundschaft mit den Kindern der Insel: die altkluge, selbstbewusste und manchmal sehr sture Tjorven, Stina, die gern Märchen erzählt sowie Teddy und Freddy, deren Namen erst auf Jungen schließen lassen, die aber zwei Mädchen sind und eigentlich Theodora und Frederika heißen. Ihre Eltern Märta und Nisse Grankvist führen den Kaufmannsladen der Insel. Dann gibt es noch den alten Södermann, Stinas Großvater, Vestermanns, Janssons, den Lehrer Björn – und nicht zu vergessen, Tjorvens Bernhardiner Bootsmann nebst diversen anderen Tieren, die im Laufe der Geschichte hinzukommen. Selbst ein Prinz für Malin findet sich noch, nachdem ihre zahlreichen früheren Verehrer keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hatten und von ihren Brüdern mehr oder weniger schnell vertrieben wurden. Wir erleben Mittsommer auf Saltkrokan, aber auch die Winter- und Weihnachtszeit und den darauffolgenden Frühling. Mal verirren sich die Kinder im Kahn, als dichter Nebel aufzieht („Hab noch nie sowenig Schiffe gesehen, woran das nun liegen mag?“); dann kommt Pelle unverhofft zu einem eigenen Tier, das er sich immer gewünscht hatte, und der Seehund Moses, den Tjorven aufpäppelt, sorgt für viel Unruhe. Doch erst am Ende wird es richtig dramatisch, als die Zukunft der Familie Melcherson im Schreinerhaus auf dem Spiel steht, weil es nicht mehr vermietet, sondern verkauft werden soll, was mit ihren bescheidenen Mitteln kaum möglich scheint…

Ein schöneres Ferienbuch kann man sich kaum wünschen als dieses. Man kann getrost zu Hause bleiben, draußen mag es regnen – während der Lektüre dieses Buches ist man jedenfalls in Schweden, genauer gesagt: im Schärengebiet um Stockholm, auf der Insel Saltkrokan. Und es ist Sommer, man fühlt ihn auf der Haut, man ist Malin oder Niklas oder Melcher oder Teddy. Und die eigentliche Handlung? Gibt es nicht, es sei denn: Sommer auf einer Insel, Fischen, Baden, Umherstreifen, Träumen; oder: Familienalltag und -Sonntag, Freundschaft mit Menschen und Tieren. (Süddeutsche Zeitung, Quelle: antolin.de)

Wie immer bei Astrid Lindgren faszinieren nicht nur die warmherzig gezeichneten Figuren und ihre Beschreibungen der kleinen, alltäglichen Freuden und Ärgernisse, die das Leben ausmachen, sondern ihre poetische Sprache. So meint man diesen ersten Abend im Schreinerhaus, wenn die Sonne durch Regenwolken bricht und die Amsel im Mehlbeerbaum singt, selbst erlebt zu haben:

„Es müsste immer Juni sein und immer Abend, still und verträumt wie dieser. Und ohne einen Laut.“

Malin führt ein Tagebuch, in dem sie alles vermerkt und Melcher als Schriftsteller deklamiert gern Gedichte wie folgendes:

„Herz öffne dich dem Tag, freu dich der Morgenstunde

Noch glitzert Tau im Hag, noch schimmern blass die Sunde

Der Morgen atmet Ewigkeit wie erster Tag uralter Zeit.“

Und Tjorven singt manchmal ein trauriges Lied:

Die Welt, sie ist ein Jammertal,

kaum dass man lebt, so muss man sterben

und wieder Erde werden.

Aus dem Buch habe ich auch einen Satz, der einmal im Jahr, in meinem Lieblingsmonat, wieder aktuell wird:

„Juninächte sind nicht zum Schlafen da.“

Natürlich möchte ich diese Zeit zu gern einmal in Schweden verbringen und bin nur zu enttäuscht, dass Saltkrokan kein realer Ort ist, doch wäre es heutzutage sicher auch nicht mehr so idyllisch wie damals, das Buch ist aus den 1960ern. Es baut auf eine Fernsehserie auf, für die Astrid Lindgren das Drehbuch schrieb. Seit ich das Buch 1997 zum Geburtstag geschenkt bekam, habe ich es viele Male gelesen, viele Jahre lang jeden Sommer. Ich liebe es wirklich von Herzen, nicht mit einem intellektuellen Ansatz wie man andere, „erwachsene“ Bücher liebt, sondern wie einen alten, von Kindheit an vertrauten Freund, so wie ich „Ronja Räubertochter“ und „Kalle Blomquist“ liebe. Doch mit den Jahren ist mir „Saltkrokan“ am meisten ans Herz gewachsen, vielleicht wegen Malin oder weil es von Sommern erzählt, wie ich sie nie erlebt habe, unbeschwert, frei und voller Abenteuer. Das Buch ist wahrlich ein Geschenk, ein kleiner Schatz, den man im Herzen trägt und den man mit jedem Lesen mehr zu schätzen weiß. Nähme ich Flügel der Morgenröte, machte ich mir eine Wohnung zuäußerst im Meer…

Nachbemerkung/Update: Im Juni 2014 habe ich tatsächlich die Mittsommerzeit in Stockholm erlebt, es blieb allerdings nicht die ganze Nacht hell, wie ich es mir vorgestellt hatte, dafür muss man wohl nach Nordschweden. Aber das Schärengebiet ist wirklich von einer unglaublichen Schönheit und wer die Möglichkeit hat, sollte dort unbedingt einmal Urlaub machen, die Gegend hat zum Glück kaum etwas von ihrer Ursprünglichkeit und Unberührtheit verloren. Ich wollte mir das Buch sogar im Original („Vi på Saltkråkan“) kaufen, doch verschob ich das bis auf den Tag meiner Abreise – in Unkenntnis davon, dass am Tag vor Mittsommer, dem Midsommarafton, alle Geschäfte geschlossen haben! Mittlerweile habe ich es dann doch geschafft (las den schwedischen Text und hörte dabei die von mir gelesene und aufgenommene deutsche Übersetzung) und auch wenn ich damit allein noch kein Schwedisch gelernt habe, war es doch ein sehr vergnügliches und sprachlich äußerst interessantes Projekt.

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Ein Kommentar zu “Astrid Lindgren – Ferien auf Saltkrokan

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