Als geborener Romantiker gehört Joseph von Eichendorff zu meinen Lieblingsdichtern, nichts übertrifft in meinen Augen diese wunderschöne Zeile aus „Mondnacht“ (macht sich übrigens auch nicht schlecht auf Traueranzeigen):
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Ich werde nie vergessen, wie befriedigend meine schriftliche Abi-Klausur in Deutsch verlief: Aus den 3 Wahlaufgaben entschied ich mich für einen Vergleich zwischen einem Gedicht von Eichendorff und einem von Charles Baudelaire in der Übersetzung von Stefan George. Eichendorff war damals schon ein Favorit von mir und die anderen beiden kannte ich zumindest vom Namen her (ein Hoch auf „50 Klassiker – Lyrik“, in dem Georges „Komm in den totgesagten Park und schau“ zu finden war), hatte z. B. gelesen, dass Baudelaire Edgar Allan Poe ins Französische übertragen hatte. So lehnte ich mich entspannt zurück, ließ meinen Schreibkünsten freien Lauf und wusste, dass die Sache geritzt war. Manchmal hat man eben Glück. In drei Jahren läuft die Aufbewahrungsfrist für schriftliche Klausuren ab, dann kann ich meine „druckreife“ Interpretation anfordern. So riet es mir damals jedenfalls meine Lehrerin, und das werde ich sicher auch tun.

Quelle: zvab.com
Aber zurück zu Eichendorff, dem Inbegriff der deutschen Romantik. Seine Gedichte passen perfekt zu den Gemälden Caspar David Friedrichs, dazu Beethovens „Mondscheinsonate“ und wir dürfen in Schwermut versinken. Ich mag dieses leicht melancholische, verträumte Gefühl, das sich beim Lesen von Eichendorffs Poemen einstellt. Sie sind voll von einem unbestimmten Sehnen, mitunter sogar einer Todessehnsucht – siehe „In einem kühlen Grunde“, eines meiner liebsten Volkslieder, wofür er den Text schrieb (auch als „Das zerbrochene Ringlein“ bekannt):
Hör ich das Mühlrad gehen,
Ich weiß nicht, was ich will,
Ich möcht am liebsten sterben,
Da wär’s auf einmal still.
Oder wie wäre es mit „Herbstweh“:
So still in den Feldern allen,
Der Garten ist lange verblüht,
Man hört nur flüsternd die Blätter fallen,
Die Erde schläfert – ich bin so müd.
Es schüttelt die welken Blätter der Wald,
Mich friert, ich bin schon alt,
Bald kommt der Winter und fällt der Schnee,
Bedeckt den Garten und mich und alles, alles Weh.
Diese und viele weitere Gedichte fanden sich in der Werkübersicht, die ich mir 2007 aus der Bücherei holte. Wenn ich mich recht erinnere, handelte es sich um einen Band aus der Reihe „Bibliothek deutscher Klassiker“, die zu DDR-Zeiten vom Aufbau-Verlag herausgegeben wurde. Außerdem enthalten waren die zwei Romane/Novellen „Aus dem Leben eines Taugenichts“ und „Das Schloss Dürande“ (obwohl ich mir bei letzterem nicht mehr hundertprozentig sicher bin). In ersterem geht es um einen jungen Burschen – den angeblichen Taugenichts -, der von seinem Vater aus dem Haus gewiesen wird und sich darob frohgemut mit seiner Fiedel auf ins welsche Land, sprich nach Italien macht. Unterwegs lernt er ein hübsches Fräulein kennen, das er vergebens später in Rom sucht, mit dem er aber am Ende glücklich vereint wird. Es ist eine Feier der Lebenskunst, des „la dolce vita“, auch der Musik und allgemein der romantischen Weltanschauung – quasi die Novelle zum Zeitgefühl. Nicht daraus stammt das Gedicht „Sehnsucht“, aber es würde gut passen:
Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab‘ ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die über’m Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht,
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.
Bei dem „Schloss Dürande“ bin ich mir, wie erwähnt, unsicher, ob es sich überhaupt in dem Sammelband befand, weil ich mich nicht an den Inhalt erinnern kann und er mit auch mithilfe von Wikipedia nicht bekannter vorkam. Wer mag, kann ihn dort nachlesen.
Ein Satz aus dem Artikel fiel mir allerdings auf: „Eichendorff steht als Adeliger auf der Seite des jungen Grafen Dürande. Die Gegenpartei, also die Angreifer auf das Schloss, sind – Renald ausgenommen – plünderndes „Gesindel“.“ Er war also kein Revolutionär, davon hielt ihn sein Stand ab; doch war er glücklicherweise auch kein blinder Patriot, in seinem Werk finden sich keine nationalistischen oder antisemetischen Tendenzen wie bei manchen anderen Schriftstellern dieser Zeit (man darf Eichendorff also auch heute noch gut finden).
Eichendorff ist kein Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs, nicht des erfüllten Augenblicks, sondern der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der Abfahrt. (Quelle)
Am glücklichsten war er auf seinem schlesischen Schloss, das er durch unglückliche Umstände verlor, und als preußischer Beamter führte er ein eher beschauliches Leben. Seine zweijährige Teilnahme an den Befreiungskriegen gegen Napoleon (u. a. bei den Lützower Jägern) klingt dann aber wieder sehr abenteuerreich und wagemutig. Er hätte ein Schicksal wie Theodor Körner erleiden können, der ebenfalls beim Lützower Freikorps kämpfte, fiel und nach seinem Tod als Held gefeiert wurde. Stattdessen starb Eichendorff fast 70-jährig an Lungenentzündung, sein Grab kann im polnischen Nysa besucht werden. Ich weiß nicht mehr, wer es geschrieben hat, aber ein anderer, jüngerer deutscher Autor äußerte in einem Brief seine Überraschung, als er den Dichter in einer Gesellschaft traf, weil er ihn längst tot geglaubt hatte…

Quelle: goethezeitportal.de
Anstatt der bekannten Bilder hier mal ein fesches Porträt aus Eichendorffs Jugend (Handschriftlicher Text: Viele Boten gehn und gingen/Zwischen Erd‘ und Himmelslust/Solchen Gruß kann keiner bringen/Als ein Lied aus frischer Brust.)
Ich mag die Natürlichkeit seiner Reime, die sich deshalb wohl besonders gut für die Vertonung eignen, seine Sprache klingt nicht altmodisch (oder nicht mehr, als es nach 200 Jahren unvermeidlich ist) und seine Metaphern und beschworenen Stimmungen sind nie kitschig, in meinen Augen jedenfalls nicht. Eichendorff hat Gedichte geschrieben, mit denen ich mich identifizieren kann und die so mühelos klingen, dass man sich wünscht, es genauso gut zu können.
Schläft ein Lied in allen Dingen
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.