Lion Feuchtwanger gehörte in den 1920er und 30er Jahren zu den meistgelesenen deutschen Autoren und seine historischen Romane wie „Jud Süß“ und „Die hässliche Herzogin“ sind bis heute Meisterleistungen dieses Genres. Anders als andere Schriftsteller, die Nazi-Deutschland verlassen mussten, hatte Feuchtwanger durch seine gut verkaufenden Bücher auch im kalifornischen Exil ein recht komfortables Leben, nachdem er es auf abenteuerliche Weise aus dem besetzten Frankreich (wo er im Internierungslager Les Milles saß) über Spanien und Portugal in die USA geschafft hatte. Mir sagte sein Name nichts, als ich mit 14 „Die Jüdin von Toledo“ las, ich glaubte, es handele sich um einen aktuellen Roman, weil ich ihn als Neuauflage im Katalog eines Verlagshauses gesehen hatte. So stieß ich rein zufällig auf einen Autor, der anders als die Mann-Brüder oder Bertolt Brecht, seine Zeit- und Leidensgenossen (alle standen mit ihrem Werk auf der Liste der von den Nazis verbrannten Bücher), dem Leser von heute weniger bekannt zu sein scheint, woran das auch immer liegen mag.
„Die Jüdin von Toledo“ erschien 1955, zu einer Zeit, als Feuchtwanger wieder stärker seine jüdischen Wurzeln in sein Werk einfließen ließ, wie er es zuvor bereits in „Jud Süß“ (das mit dem gleichnamigen Schandfilm von Veit Harlan nur die historische Hauptfigur Joseph Süß Oppenheimer gemein hat), „Die Geschwister Oppermann“ und der „Josephus-Trilogie“ getan hatte. Bekanntermaßen haben die Juden jahrhundertelang die spanische Kultur mitgeprägt und jüdische und islamische Gelehrte leisteten einen wichtigen Beitrag zur Philosophie und Wissenschaft des Abendlandes. Die friedliche Koexistenz der Religionen blieb im Zuge der „Reconquista“ genannten Rückeroberung der iberischen Halbinsel durch die Christen zunächst bestehen, wurde aber zunehmend durch antisemitische Pogrome abgelöst, bis 1492 durch das Ausweisungsedikt von Königin Isabella und König Ferdinand Juden radikal gezwungen wurden, zu konvertieren oder auszuwandern. Feuchtwangers Roman spielt 300 Jahre zuvor, als der kastilische König Alfonso VIII. Krieg gegen die Mauren führte. Der jüdische Kaufmann Jehuda Ibn Esra verlässt seinen Beraterposten beim Emir von Sevilla, wo die Juden ihren Glauben nur heimlich ausüben können und offiziell Muslime sind. Er wechselt auf die Seite Alfonsos, von der er sich größere Toleranz erhofft und dessen Land er durch kluge Finanzpolitik wieder zur Blüte bringt. Doch noch mehr Macht als Jehuda erwirbt schließlich seine Tochter Raquel, genannt „La Fermosa“, die Schöne, die der König als Geliebte verlangt, anderenfalls droht er Jehudas Sippe mit Vertreibung. Raquel begreift dies als Chance, Einfluss über den Herrscher zu gewinnen, um ihn für ihre Ziele (vor allem Frieden und Religionsfreiheit) zu gewinnen, und bestärkt ihren Vater darin, der Abmachung zuzustimmen. Sie zieht in den Palast La Galiana in Toledo, den Alfonso im maurischen Stil restaurieren ließ, und hat den König bald völlig in ihren Bann geschlagen. Feuchtwanger zitiert dabei die Crónica general und den spanischen Dichter Lorenzo de Sepúlveda, der im 17. Jahrhundert eine Romanze über diese Liebe verfasste:
Und er schloss sich mit der Jüdin fast volle sieben Jahre ein, und gedachte nicht seiner selbst, noch seines Reiches, noch kümmerte er sich um sonst etwas.
Natürlich weckt diese Verbindung den Zorn von Alfonsos Frau Doña Elenor, Tochter des englischen Königs Heinrich II., und sie drängt auf einen Krieg als Mittel, ihren Mann aus den Armen der Jüdin zu reißen. Auch die Stimmung im Volk wendet sich gegen die Juden, hat doch eine von ihnen den König offenbar so behext, dass er seinen Pflichten als Herrscher nicht mehr nachkommt. Der Wendepunkt kommt, als Jehuda und Raquel den Knaben, den sie Alfonso geboren hat, heimlich aus dem Palast bringen lassen: Alfonso will unbedingt, dass sein Sohn eine christliche Taufe erhält und befürchtet nun, dass er stattdessen beschnitten wird. Er verstößt seine Geliebte, provoziert einen erneuten Krieg und stützt sich in die Schlacht gegen die Mauren. Als er unterliegt, wird die Schuld alsbald bei den Juden gesucht, angeblich hätten sie die militärischen Pläne an den Feind verraten. Und so kommt es, wie es kommen muss: Der Mob zerstört zuerst Jehudas Wohnhaus, bevor Königin Leonor dem Ritter de Castro zu verstehen gibt, dass zur Beruhigung des Volksaufstands Opfer gebracht werden müssen, nämlich Raquel und ihr Vater, der sich bei ihr in La Galiana aufhält.
Es beschlossen nun die Seinen
Dieses Treiben zu beenden,
Das dem König Schande machte.
Sie begaben sich zum Orte,
Wo die Jüdin war, und fanden
Sie auf prächtiger Estrade,
Und sie töteten die Jüdin
Und die um sie waren, alle.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der Kampf zwischen den Religionen, wie es ihn damals in Spanien gab und heute nicht weniger extrem überall auf der Welt. Zwar kann im Einzelfall die Liebe diese Schranke überwinden, wie es zwischen Alfonso und Raquel geschieht, doch gibt es eben oft genug Menschen, die sich dieses Konflikts bedienen, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen (die mit dem Glauben gar nichts zu tun haben) und bewusst Unfrieden schüren, um diese zu erreichen. Außerdem lassen sich jahrhundertelang geprägte und gepredigte Vorurteile nicht so schnell vergessen, wie Alfonso erfahren muss, als ihm das Volk vorwirft, sich „mit der Jüdin versündigt zu haben“, ganz zu Schweigen von seinen eigenen Gewissensbissen. Hätte er eine christliche Nebenfrau gewählt, hätte sich der Aufruhr sicher in Grenzen gehalten. Raquels Bemühungen, ihrem Geliebten den Humanismus der jüdischen und muslimischen Philosophie (verkörpert durch Jehudas Freund Musa) nahe zu bringen, ist unter diesen Umständen zum Scheitern verurteilt: zu tief steckt der ihm anerzogene Argwohn gegenüber den „Ungläubigen“, den er in der Entführung seines Sohnes bestätigt sieht. Feuchtwanger charakterisiert Alfonso als klassischen Ritter, der Frieden und Toleranz als unmännlich ansieht und in dem der „präzivilisatorischen böse Trieb der Menschen, die jagen, schlagen und töten wollen“ steckt.
Über das Ende des Romans war ich damals beim Lesen sehr bestürzt, doch ein Happy End wäre angesichts der geschichtlichen Ereignisse höchst unrealistisch. Feuchtwanger selbst gab als Inspiration das biblische Buch Esther an, in dem sich ebenfalls eine Jüdin mutig in Gefahr begibt und ihren Einfluss als Frau des Perserkönigs Xerxes nutzt, um das Leben ihres Volkes zu retten. Ihr gelingt es, doch die traurige Wirklichkeit sah leider meist anders aus. Die Juden in Spanien fühlten sich einigermaßen sicher und assimiliert, ja im Fall von Jehuda durch seinen Erfolg quasi unantastbar, während sich die Meinung der Christen ihnen gegenüber nie wirklich geändert hat und der Antisemitismus unter der Oberfläche weiter brodelt. Parallelen zu Deutschland vor 1933 sind hier nicht rein zufällig. Mich packte Feuchtwangers Stil übrigens so sehr, dass ich anschließend gleich einen weiteren historischen Roman von ihm las, „Die hässliche Herzogin“ über Margarete von Tirol. Ebenso wie „Die Jüdin von Toledo“ kann ich dieses Buch vorbehaltlos empfehlen.
Tolle Rezension. Ein Buch das mir mein Vater sehr ans Herz gelegt hat.