Ein Monat - ein Buch

September 2015: Thomas Gottschalk – Herbstblond

Obwohl er mittlerweile die Spätphase seiner Karriere erreicht hat, ist Thomas Gottschalk für mich noch immer Deutschlands größte Fernsehpersönlichkeit. Wahrscheinlich ist das auch ein Armutszeugnis für die jüngere Generation von Moderatoren, aber ich konnte mich nie für Pflaume, Pilawa oder Kerner erwärmen. Markus Lanz werde ich nie verzeihen, dass er „Wetten dass“, das TV-Ereignis meiner Kindheit und Jugend schlechthin, zugrunde gerichtet hat. Harald Schmidt hat entnervt aufgegeben und Stefan Raab ist jetzt Privatier. Bleibt vielleicht noch Günther Jauch, der mir aber mitunter zu bissig oder unterkühlt ist, halt ein anderer Typ als Gottschalk, auch wenn ich die Freundschaft zwischen den zwei alten Haudegen rührend finde. Jedenfalls bin ich dankbar für jede Sendung, in der ich meinen blondgelockten Fernsehhelden noch bewundern kann, allzu häufig sind seine Auftritte ja leider nicht mehr (und wenn, dann kommen noch böse Kommentare von Usern, à la „Warum geht er nicht endlich in Rente“ oder „Ich kann sein Gequatsche nicht mehr hören“ – es wird ja niemand zum Einschalten gezwungen!). Natürlich ist da auch viel Nostalgie bei mir im Spiel. Jedenfalls war es keine Frage, ob ich seine Autobiografie „Herbstblond“ lesen würde, sondern nur wann. Ich tat es ca. ein halbes Jahr nach Erscheinen, passenderweise im Herbst.

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Quelle: randomhouse.de
Das Blond hat nun einen leichten Grauton

Gottschalk legt Wert darauf, zu betonen, dass er das Buch selbst geschrieben hat, und warum auch nicht, schließlich überlegte er einst, Deutschlehrer zu werden und man traut ihm durchaus zu, dass er vernünftige Sätze zu Papier bringen kann. Das ist noch eine Eigenschaft, die ich am ihm mag: Obwohl er nie damit hausiert, hat er eine umfassende humanistische Bildung, ist weltgewandt und hört AC/DC ebenso gern wie Wagner. Auch wenn seine Kritiker es ihm oft nicht glauben wollten, aber der Mann hat Niveau. Leider findet man davon heutzutage zu wenig in der hiesigen TV-Landschaft (spricht die frühvergreiste Twenty-Something).

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten erzählt Gottschalk stringent seine Bio, angefangen bei der Kindheit und Jugend im bayerischen Kulmbach, mit Bruder Christoph, Schwester Raphaela und den aus Schlesien geflüchteten Eltern. Sein Vater Hans ist Rechtsanwalt, er stirbt an Krebs, als Thomas gerade 14 ist. Es ist ein solides Leben in einem für die Zeit typischen, bürgerlichen Umfeld. Thomas erkennt früh seine Begabung fürs Komische und allmählich auch seine Liebe für die Musik. Als er es in den 70ern als Radiomoderator zum Bayerischen Rundfunk schafft, glaubt er, dass es nicht mehr höher ginge. Er hat einen festen Platz in der Tiefgarage des BR und eine treue Hörergemeinschaft, die stetig wächst, denn er ist frech, witzig und weiß, was die jungen Leute hören wollen. Seine Sendungen bei Bayern 3 sind nichts anderes als Kult. Kein Wunder, dass bald das Fernsehen anklopft, wo er zunächst die „Telespiele“ moderiert, seine eigene „Pop-Show“ bekommt und einen großen Erfolg mit „Na sowas!“ hinlegt. Dann wird er gefragt, ob er nicht diese Samstagabendshow von Frank Elstner (den er von Radio Luxemburg kannte und immer bewundert hatte) übernehmen wöllte. Und der Rest ist Geschichte.

Es gibt keine deutsche Fernsehshow, die eine vergleichbare Gästeliste  vorlegen kann. Wenn ich in  Hollywood damit prahle, addiere ich nicht, sondern subtrahiere: „Bis auf die Queen und den Papst war praktisch jeder da.“ „Auch Michael Jackson?“ „Zweimal!“ „Steven Spielberg?“ „Yes!“ „Tom Cruise?“ „Absolutely!“ „Leonardo Di Caprio?“ „Of course!“ Ich selbst habe den Überblick verloren. Manchmal sitzen in Malibu Hollywoodgrößen am Nebentisch und ich frage meine Frau: „Hatte ich den/die schon in der Sendung?“ Sie sagt dann: „Ja, aber geh da jetzt bloß nicht hin!“ Mache ich nicht. Zumindest nicht mehr. Oft genug ist es mir passiert, dass ich auf irgendeinem roten Teppich strahlend auf einen Star zustrebte, der keine Ahnung mehr davon hatte, dass er irgendwann auf dem Sofa neben mir gesessen hatte und sich den Kopf darüber zerbrechen musste, wie viele Mücken Manfred Müller aus Minden mit seinem Mund in zwei Minuten fangen würde.

Bis es nach erfolgreichen Jahren mit „Wetten dass“ allmählich bergab geht und Gottschalk, der schon einige Male ans Aufhören gedacht hatte, nach dem tragischen Unfall von Samuel Koch endgültig die Entscheidung trifft, seinen Hut zu nehmen. Doch leider verläuft der Weg anschließend nicht so glatt weiter, wie er sich das ausgemalt hat, und er muss lernen, dass sich die Zeiten für ihn gewandelt haben:

Ich musste feststellen, dass ich nirgendwo gebraucht wurde – für mich eine neue Erfahrung und keine,die mich besonders begeisterte. Aber wer mag das schon. Wenn ich mich also dafür entschied, das Angebot von RTL anzunehmen, Juror fürs Supertalent zu werden, muss ich mir die Frage gefallen lassen: War es  Torschlusspanik, verletzte Eitelkeit oder eine Möglichkeit, mich neu zu erfinden? Ich rede mir Letzteres ein.

Wir werden sehen, mit welchen neuen Formaten er noch aufwarten wird, verglichen mit seinem früheren Ruhm muss wohl jedes zwangsläufig enttäuschen und mich persönlich schmerzte es sehr, ihn in der „Supertalent“-Jury neben Bohlen sitzen zu sehen. Das passte einfach nicht und glücklicherweise haben das sowohl Sender als aus Moderator bald eingesehen (trotzdem scheint Gottschalk seine neue Heimat bei RTL gefunden zu haben, wo er auch eine große Sause zu seinem 65. veranstaltete).

Im zweiten Teil von „Herbstblond“, dessen Kapitel übrigens alle die Titel bekannter Songs tragen (z. B. „Radio Gaga“ für seine Zeit beim Rundfunk oder „Road to Nowhere“ für die Phase nach „Wetten dass“), widmet sich Gottschalk bestimmten Aspekten seines Lebens, etwa den Vor- und Nachteilen seiner Berühmtheit, seinen Bemühungen, die Familie aus der Öffentlichkeit rauszuhalten – dass er bekennt, seinen Söhnen auch mal eine Ohrfeige verpasst zu haben, ging gleich wieder durch die Presse –, seinem Zweitwohnsitz in Malibu, Reichtum oder dem Älterwerden.

Es ist mir schleierhaft, wie schnell das alles passiert ist. Ich habe den Verlauf meiner Karriere durchaus als Aufstieg empfunden: vom Radion ins Fernsehen, vom Dritten ins Erste, vom Nachmittag in den Hauptabend. Als ich den Gipfel erklommen hatte, verfiel ich dem Irrglauben, nun würde eine lange Gerade kommen. Stattdessen ging es auf der anderen Seite schnell wieder bergab. […] Die einen erklären mir, dass Arbeiten das beste Mittel gegen das Altwerden sei und dass diejenigen, die zu früh damit aufhören, eines vorzeitigen Todes sterben. Aber soll ich irgendwann als Karikatur des Mannes vor einer Kamera stehen, den die Leute mal geliebt haben?

Hier zeigt sich mal launig, mal nachdenklich, anekdotenreich und tiefgründig, wenn er z. B. über seinen katholischen Glauben spricht, sich zum Thema Suizid äußert (zwei enge Freunde von ihm, Gunter Sachs und Udo Reiter, haben ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt – letzterem ist das Buch gewidmet) oder den Menschen im Hintergrund dankt, ohne die seine Karriere nicht möglich gewesen wäre. Diese Kapitel fand ich besonders lesenswert und interessant, weil man eine andere Seite von ihm kennenlernt: der Mensch definiert sich am Ende nicht nur durch seine Biografie, sondern auch durch seine Ansichten und Einstellungen und in diesem Buch findet man beides, ohne dass der biografische Teil unnötig in die Länge gezogen wurde. Das wurde wirklich gut gelöst. Außerdem meint man stets, die Stimme Gottschalks zu hören, denn die Sätze geben seinen Sprechstil wieder, seine lockere Art der Formulierung. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb liest sich das Buch sehr gut. Und obwohl ein Kapitel mit „Dirty Laundry“ überschrieben ist, wäscht er diese nicht in der Öffentlichkeit: Es ist kein Skandal- oder Enthüllungsbuch geworden wie die Autobiografie von Dieter Bohlen (der allerdings sein Fett wegkriegt). Es ist ehrlich, auch selbstkritisch, selbstverständlich unterhaltsam, hält aber stets das Niveau. Meine Erwartungen wurden auf jeden Fall erfüllt und sogar die Kritiker haben sich dieses Mal überwiegend wohlwollend geäußert. Vielleicht findet er noch mal ein Konzept, das für ihn so wie die Faust aufs Auge passte wie „Wetten dass“. Nie werde ich vergessen, wie ich damals mit 5 auf Mamas Sofa zum ersten Mal Paul McCartney sah, der in bunt gestreifter Weste „Hope of Deliverance“ sang (damals moderierte allerdings Wolfgang Lippert, und dessen Verhalten gegenüber dem Ex-Beatle animierte seinen Vorgänger, sich für seine Absetzung auszusprechen). Wie ein Mann versuchte, schneller als sein Hund einen Napf Wasser auszuschlappern und Céline Dion ihm entsetzt dabei zusah. Wie Gottschalk einen frechen Witz riss oder am Ende der Show in ein Fass Senf versenkt wurde und am Montag die ganze Nation darüber sprach. Wie arm ist unsere Fernsehwelt ohne dieses Spektakel geworden.

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