Dieses Buch las ich in der Ausgabe der SZ-Bibliothek, deren Feuilletonredaktion 100 Romane des 20. Jahrhunderts auswählte, als Mitte der Nuller-Jahre solche Listen und „Kanons“ populär waren (die Brigitte tat etwas ähnliches unter Federführung von Elke Heidenreich). Auf dem Cover von „Der talentierte Mr Ripley“ befand sich ein Szenenfoto aus der Verfilmung von 1999 mit Matt Damon, Gwyneth Paltrow und Jude Law, und möglicherweise lieh ich mir das Buch nur aus, um mir immer wieder dieses Foto anzusehen, weil ich bereits damals eine große Schwäche für Jude Law hegte, zumindest für den Jude der damaligen Zeit, seiner großen Schönlingsphase (als er noch mehr Haare hatte).

Quelle: vigilie.de
Der Roman entpuppte sich dann als unerwartet spannend, ich kann mich noch gut erinnern, wie ich in Freistunden im Schulpark saß und fieberhaft las, immer gespannt, ob Tom Ripley wirklich mit seinem Verbrechen durchkommen würde …
Er ist ein Niemand, Vollwaise, ohne Arbeit, ohne Geld und hält sich mit Aushilfejobs und kleinen Gaunereien über Wasser. Doch durch einen glücklichen Zufall hat er vor einiger Zeit die allerdings nur flüchtige Bekanntschaft des jungen Dandys Dickie Greenleaf gemacht, der das genaue Gegenteil von ihm ist und jetzt das süße Leben in Süditalien genießt. Aus diesem Grund wendet sich Dickies Vater an Tom, den er für einen engen Freund seines Sohnes hält: Er solle zu ihm reisen und ihm ins Gewissen reden, damit er endlich zurück in die Staaten kehrt und einer geordneten Tätigkeit im Familienunternehmen nachgeht, statt wie ein Bohemien seine Zeit mit Malerei und Segeln zu vergeuden. Für Tom, dem angesichts seiner Betrügereien die Luft in New York langsam zu dünn wird, ist das eine mehr als willkommene Chance, erst mal von dort zu verschwinden. Finanziell von Mr Greenleaf reichlich ausgestattet, reist er also nach Italien zu Dickie und dessen Freundin Marge. Erst dort freunden sich die zwei allmählich an, nachdem Tom vergeblich versucht hat, Dickie zu einer Rückkehr zu bewegen. Tatsächlich verstehen sie sich sogar so gut, dass Marge zu argwöhnen beginnt, das Ganze könnte mehr als nur Freundschaft sein und es ist auch wirklich eine latente, unausgesprochene Erotik zwischen ihnen spürbar.
Doch als sich Dickie allmählich von ihm abwendet und gleichzeitig Post von Vater Greenleaf eintrifft, der Tom zurück nach Amerika beordert, reift in ihm ein Plan heran – Eifersucht mengt sich mit dem Wunsch, das Leben, von dem er gekostet hat, nicht so ohne weiteres aufzugeben.
Er würde es als allerletztes tun, dachte Tom. Er starrte auf Dickies geschlossene Augenlider. Ein wahnwitzige Mischung aus Hass, Zuneigung, Auflehnung und Frustration wallte in ihm auf, so dass er schwer atmete. Er hätte Dickie am liebsten umgebracht. Das dachte er nicht zum ersten Mal. Schon ein paar Mal hatten Wut oder Enttäuschung diesen Wunsch ausgelöst, der sofort erloschen war und ihn mit Scham erfüllt hatte. Jetzt dachte er eine ganze Minute lang daran, zwei Minuten, weil er Dickie sowieso verließ und es keinen Grund mehr gab, sich zu schämen.
Während einer Bootsfahrt setzt er es schließlich in die Tat um: Dickie wird beseitigt, ebenso das Boot, und Tom schlüpft in die Rolle des Toten. Das geht natürlich nur so lange gut wie ihm keine Bekannten von Dickie über den Weg laufen – immer schwebt er am Rand der Enttarnung, was seine Nerven empfindlich angreift. Doch gleichzeitig ist er bereit, noch über weitere Leichen zu gehen, um sein Verbrechen zu vertuschen …
An dieser Stelle darf verraten werden, dass er aus der ganzen Geschichte überraschend unbeschadet hervorgeht, was nicht wirklich ein Spoiler ist, denn da Patricia Highsmith im Laufe der Zeit noch vier weitere Krimis über Ripley schrieb, dürfte wohl klar sein, dass sie in dieser Figur genügend Potenzial sah, um ihn nicht gleich am Ende des ersten Buchs lebenslänglich ins Kittchen zu stecken.
Er konnte sagen, er habe es nicht tun wollen, aber er hatte es getan. Er wollte kein Mörder sein. Manchmal konnte er ganz und gar vergessen, dass er gemordet hatte, fiel ihm ein. Doch bisweilen – so wie jetzt – konnte er es nicht. Gewiss hatte er es heute Abend zeitweise vergessen gehabt, als er über Europa und über den Sinn von Besitz nachgedacht hatte und darüber, warum er gerne in Europa lebte.
Dieser Ripley ist in der Tat ein sehr faszinierender Charakter: narzisstisch und egozentrisch, denkt er stets nur daran, seine eigene Position zu verbessern, ohne sich dafür wirklich anstrengen zu wollen. Er ist ein charmanter Hochstapler, der jedoch schnell gefährlich werden kann, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt. Moralische Bedenken oder Schuldgefühle kennt er nicht, auch wenn seine Psyche mit einer gewissen Paranoia reagiert, als ihm der italienische Boden nach der Tat immer heißer wird. Trotzdem steht man als Leser unwillkürlich auf seiner Seite, bangt darum, ob er durchkommen wird – ein raffiniertes Spiel der Autorin, was sicher dazu beigetragen hat, dass das Buch zu einem Klassiker des Genres geworden ist.
Die oben erwähnte Kinoversion war übrigens nicht die erste Verfilmung: diese erschien 1960 unter dem Titel „Plein Soleil“ (dt. „Nur die Sonne war Zeuge“) und war der internationale Durchbruch für Alain Delon. Wer ihn ansieht, versteht leicht, warum – während in der Hollywood-Produktion der schönste Schauspieler leider nach der Hälfte des Films umgebracht wird, darf man Delon 2 Stunden lang in der Rolle des Mörders bewundern, was die Faszination für die Figur noch verstärkt. Regisseur Réne Clement wollte ihn zunächst als Dickie besetzen, doch seine Frau überredete ihn, ihm die Hauptrolle anzubieten. Highsmith selbst war vom Ergebnis angetan, kritisierte jedoch das abgewandelte Ende, bei dem der Gerechtigkeit genüge getan wird, ein Tribut an die damalige Moral (der Regisseur fügte außerdem eine Affäre zwischen Tom und Marge ein, die es im Buch nicht gibt). Vielleicht war die Welt auch noch nicht reif dafür, die „Talente“ des Mr Ripley gebührend zu würdigen.

Quelle: indiewire.com
Maurice Ronnet, Marie Laforêt und Alain Delon in „Plein Soleil“
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